Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
Wohnzimmer um. So schlimm sieht es gar nicht aus, wenn man es recht bedenkt. Natürlich stehen überall Gläser herum, und alle verfügbaren Flächen sind mit Tellern vollgestellt. Halbherzig pelle ich eine Salamischeibe von einem Seidenkissen. Der Rest hat bis morgen Zeit.
»Auf wann hast du morgen die Putzfrau bestellt?«, fragt Morgan und unterdrückt ein Gähnen. »Hoffentlich nicht so früh?«
Ich muss schlucken. Mit Lilia habe ich überhaupt nichts abgesprochen – was bedeutet, dass alles an Art und mir hängen bleiben wird.
»Oh, das haben wir noch offen gelassen«, antworte ich, weil ich das Morgan nicht auch noch unter die Nase reiben möchte.
Ihr Make-up ist noch immer makellos, und die verdammten Schuhe trägt sie auch noch.
Endlich darf auch ich in den Frieden unseres Schlafzimmers tauchen. Art schläft schon: nackt und auf dem Bauch, quer übers Bett ausgestreckt. Bevor ich die Decke unter ihm hervorzerre, schiebe ich die Hand unter die Matratze. Der Brief von Tapps Funeral Services ist noch da. Und auch Dr. Rodriguez’ Visitenkarte von der Fair-Angel-Geburtsklinik.
Es folgt ein überaus geschäftiger Tag. Viele bedanken sich noch einmal telefonisch oder per Mail, sodass mir am Ende keine Sekunde Zeit für meinen Anruf bei Dr. Rodriguez bleibt. Morgan lässt sich nicht davon abbringen, dass wir in einem ziemlich feinen Restaurant in Mayfair zu Abend essen. Sie lädt uns ein. Das ist nett, aber der Abend vergeht dann damit, dass sie in Erinnerungen an ihre rastlose Kindheit schwelgt. Art stört das nicht. Er behauptet zwar, sich nicht für seinen Vater zu interessieren, aber es ist offensichtlich, dass er noch immer nach Insiderinformationen lechzt – Brandon Ryan war ohne Frage eine außergewöhnliche Person. Eine Geschichte, die Morgan zum Besten gibt, geht mir später nicht aus dem Kopf: Eines Weihnachtsabends habe sie erklärt, ohne ihre Lieblingspuppe Maisie unmöglich leben zu können. Der Vater habe die Puppe genommen, ins Kaminfeuer geworfen und ihr gesagt, sie solle niemals etwas so lieb gewinnen, dass sie dessen Verlust nicht ertragen könne.
»Dad hat natürlich recht gehabt«, sinniert sie kess und doch leicht resigniert. »Aber es war eine harte Lektion.«
Sie sieht Art an, der den Kopf schüttelt. Ich frage mich, und das nicht zum ersten Mal, warum er sich bei solchen Gelegenheiten nie äußert. Ihm muss genau wie mir klar sein, dass nicht nur die Lektionen, die Brandon Ryan erteilt hat, knochenhart waren, sondern auch der Mann selbst es war. Und trotzdem habe ich nie erlebt, dass Art ihn seiner Schwester gegenüber kritisiert hätte, und sie schildert ihren Vater schlimmstenfalls als leicht exzentrisch und nicht als den bösartigen und arroganten Tyrannen, der seine Familie genau wie sein Wirtschaftsimperium führte – machtbesessen und ruhmsüchtig.
Ich denke wieder an meinen eigenen Vater. Ich kenne ihn eigentlich nur als lachenden Menschen.
»Aber Brandon hat sich doch fürchterlich benommen«, wende ich leise ein. »Du sagst zwar, dass er recht hatte, aber wie konnte er nur so grausam sein … das liebste Spielzeug vor den Augen eines Kindes zu zerstören. Und dann erst die Moral – nicht zu vertrauen, sich auf niemanden zu verlassen.«
Morgan erstarrt. Ich merke, dass auch Art neben mir die Luft anhält, aber ich behalte Morgan im Blick. Sie presst die Lippen zusammen, und auch ihre Augen werden schmal. Für einen Augenblick sieht es aus, als wollte sie mich schlagen, aber sie fängt sich und höhnt:
»Daddy hat uns aus gutem Grund zur Eigenständigkeit erzogen. Nur auf Blutsverwandtschaft kann man sich verlassen. Und das auch nicht immer.« Sie sieht Art an – herausfordernd, fast wie eine Frage –, als habe er ihr widersprochen, nicht ich.
Art erwidert ihren Blick. »Brandon war ein harter Brocken. Das musste er auch sein, Morgan, da hast du sicherlich recht.« Er überlegt. »Aber du darfst nicht vergessen, dass Gen ja gar keinen Einblick hatte in seine Welt.«
Ich starre ihn entgeistert an; wie kann er Brandon Ryan als Thema hinstellen, das so schwierig ist, dass ich es unmöglich begreifen kann?
Art seufzt. »Aber ein wenig Vertrauen ist in der Wirtschaft schon nötig – ansonsten würde das reinste Chaos herrschen.«
Am Tisch ist es still. Ich bin noch immer verschnupft wegen der Weise, wie Art sich eingemischt und für mich entschuldigt hat. Morgan blickt derweil demonstrativ in den Raum und ignoriert ihn. Niemand sagt etwas, aber ich spüre, dass die
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