Seit jenem Tag
»Sollen wir nach nebenan gehen?«, schlägt er vor, nachdem die Schlacht gewonnen ist.
Ich muss zugeben, dass ich mir diesen Moment schon hundertmal ausgemalt habe, aber ich lag gewaltig daneben. Wir landen in seinem großen Doppelbett, und mein Rock liegt auf dem Boden, bevor ich überhaupt Zeit hatte, sein Verschwinden zu bemerken. Ich beschließe einfach mitzumachen, ihn das Tempo bestimmen zu lassen, und er scheint mehr als bereit, die Führung zu übernehmen. Und es ist gut, mehr als gut, sein sonstiges pedantisches Auftreten steht in keinem Verhältnis zu seinem Verhalten im Schlafzimmer. Ich hatte ihn mir wohl ein wenig unbeholfener, ein wenig linkischer vorgestellt, und verrückterweise hätte ich mich sicherer gefühlt, wenn es so gewesen wäre. Ich streichele sein Gesicht und sehe ihm in die Augen. Und er erwidert meinen Blick, seine Augen voller – ich weiß nicht genau was. Natürlich gelingt es mir nicht, mich dem Augenblick hinzugeben, das wäre fast frevlerisch. Es kostet seinen Preis, wie alles andere in dieser Beziehung.
Als wir anschließend nebeneinanderliegen, gehe ich mit mir ins Gericht: Nimmt man den Standpunkt ein, dass das Glas halbvoll ist, sind wir einen gewaltigen Schritt vorangekommen. Und Gott sei Dank ist er nicht so von Gewissensbissen geplagt, dass er ohne jegliches Gefühl bei der Sache ist. Er schlingt fest seinen Arm um mich und zieht mich an seine haarige Brust.
»Danke«, sagt er noch mal mit belegter Stimme.
»Du brauchst dich nicht zu bedanken! Ich danke dir.«
»Nein, wirklich«, sagt er und küsst meine Nase, als wäre er das gewohnt. »Das war wunderbar.«
Fast hätte ich es erwidert, bringe es dann aber doch nicht über die Lippen. Würde ich bei der Wahrheit bleiben und sagen, dass es fast wunderbar war, wäre das ein Schlag ins Gesicht für ihn. Stattdessen streiche ich mit meinem Daumen über sein Kinn. In mir sprudelt die Liebe wie ein Springbrunnen, doch die Furcht übt einen genauso starken Gegendruck aus.
»Ich sollte wohl am besten irgendwann nach Hause gehen«, sage ich und klammere mich ein wenig fester. »Für Madeline wäre es sicher höchst merkwürdig …«
»Meinst du wirklich?«, sagt er und streichelt mein Haar. Bitte mich nicht darum, sage ich mir, er tut es allerdings nicht. »Du brauchst dich aber nicht dazu verpflichtet fühlen«, ergänzt er, und die indirekte Kritik trifft mich dann doch.
»Nein, aber ich sollte gehen«, entgegne ich und beginne, mich geistig und körperlich aus seiner Umarmung zu lösen. »Als sie sagte, es sei Zeit für mich, schlafen zu gehen, hat sie das bestimmt nicht damit gemeint. Und außerdem muss ich mich umziehen.«
»Mary würde dich vermutlich mit ihrem berüchtigten strafenden Blick zur Schnecke machen, wenn du damit ankämst«, sagt er trocken.
»Du hast es erfasst.« Meine Stimme ist matt, aber ich glaube nicht, dass er es registriert.
»Bleib doch wenigstens noch ein bisschen«, sagt er. »Kann ich dir was bringen?«
»Ein Glas Wasser wäre nicht schlecht.«
»Kommt sofort.« Er springt aus dem Bett und schnappt sich einen Morgenmantel, der an der Tür hängt. Er hat wirklich einen sehr hübschen Hintern, aber ich bin zu schüchtern, es ihm zu sagen.
Bis er zurückkommt, scheint eine Ewigkeit zu vergehen; ich weiß nicht, ob er nach Madeline sieht, seine E-Mails checkt oder sich einfach eine kurze Auszeit gönnt, um sich von der ungewohnten Situation, mit einer Frau geschlafen zu haben, die nicht Sally ist, zu erholen. Auch ich muss erst mal tief durchatmen, denn die Wirkung schlägt erst jetzt mit voller Kraft zu. Viele Male habe ich mir Gedanken darüber gemacht, eventuell mit Sally verglichen und als mangelhaft beurteilt zu werden, oder diesen grausamen Vergleich selbst angestellt, und nun ist der Fall tatsächlich eingetreten.
»Wie versprochen«, sagt William, als er mit dem Glas Wasser zurückkommt, das ich mittlerweile gar nicht mehr will. Er stellt es auf dem Nachttisch ab und hockt sich auf die Bettkante. Ich nehme verlegen einen Schluck, wickele das Laken ein wenig fester um mein Dekolleté und wünsche mir, er möge wieder unter die Laken kommen. Hätte ich doch nur die Selbstsicherheit, ihn einfach wieder ins Bett zu ziehen. Und ohne ersichtlichen Grund schlägt die Erinnerung an jene Nacht mit James vor langer Zeit zu: Ich finde es schlimm, wenn ich die Regeln nicht kenne, dann werde ich zu einem inkompetenten Dummerchen. Meine Finger tasten unwillkürlich nach dem Herzanhänger, das
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