Seit jenem Tag
Sallys Spezialität waren. Ich versuchte mich ihrem Flehen zu widersetzen, auf Hartes umzusteigen, doch sie hielt ihren Kopf schief und meinte mit Kleinmädchenstimme: »Es ist mein Geburtstag«, und da glaubte ich, ihr nichts abschlagen zu können. Demzufolge fühlten wir uns am nächsten Tag ganz abscheulich und hatten Mühe, auch nur von unserer Wohnung bis hinunter zum Pool zu gelangen. Ich denke, Sally genoss diese extremen Katerstimmungen, sie waren wie Kampfspuren, die bewiesen, dass der Krieg gewonnen worden war, aber mich machten sie melancholisch, und ich schämte mich meiner sogar ein wenig.
Ihre Stimmung hatte sich ebenfalls verändert, was man allerdings nur merkte, wenn man sie genau beobachtete. Sie sprach sehr wenig, doch es war kein angenehmes Schweigen. Ich suchte krampfhaft nach Gesprächsanregungen, um sie aus der Reserve zu locken. Wenn ich redete, musterte sie mich, als wäre ich ein fremdartiges Geschöpf, das unerklärlicherweise in ihrem Dunstkreis gelandet war.
»Ich werde mal den Schirm da drüben herholen«, sagte ich.
»Ich dachte, du wolltest braun werden.«
»Das ist mir ehrlich gesagt nicht so wichtig. Meine Haut ist so empfindlich, ich möchte mir keinen Sonnenbrand holen.«
»Warum hast du es dann gesagt?«
Ich hielt inne, damit mein Herzschlag sich beruhigen konnte, und studierte ihr Profil mit den zum Schmollmund verzogenen geschminkten Lippen. Sie hatte sich lang ausgestreckt und hielt ihren Oberkörper der sengenden Sonne entgegen.
»Alles okay mit dir?«, fragte ich.
»Ja, mir geht’s gut«, sagte sie, nahm ihre Kopfhörer und steckte sie sich bedächtig in die Ohren.
Mein Herzschlag weigerte sich, zur Normalität zurückzufinden, denn die Wut jagte durch meinen Körper wie ein Gefangener, der zu lange in Einzelhaft verbracht hatte. Ich hatte mich diesem Verhalten so gut angepasst, dass ich nahtlos auf die entsprechenden Strategien zurückgriff – ich ging in die Bibliothek oder rief meine Freundin Catherine oder Jules an, oder zog mich einfach in mein Zimmer zurück, um zu warten, bis es vorbei war, wohl wissend, dass die Wolken in ein paar Stunden vorübergezogen und Sally wieder ein anderer Mensch wäre – aber warum ließ ich mir das gefallen? Mir war klar, dass es fatal war, jetzt, da ich ein so leichtes Ziel war, in dieses Wespennest zu stechen, doch genau das erlaubte mir, damit anzufangen, mir meinen Weg heraus aus dieser Misere zu graben – die einfach zu offensichtlich war, um noch weiter die Augen davor zu verschließen. Keiner sagte, dass es leicht werden würde.
Wenn Blicke töten können, dann entsprach dies dem Tod unserer Freundschaft. Für gewöhnlich flackerte meine Wut auf und erlosch wieder, eingeschüchtert von Sallys Leidenschaftlichkeit, die meiner überlegen war, aber jetzt leuchteten alle ihre kleinen Vergehen in Neonlettern auf.
Sie hatte einen Adapter mitgebracht und mich, als ich mir in Gatwick selbst einen besorgen wollte, einfach weitergezerrt. »Wir haben doch einen, der reicht«, sagte sie, aber nun versteckte sie ihn. Jedenfalls war ich davon überzeugt, dass sie ihn versteckte, wenn er nicht in Gebrauch war. Sie zwang mich, danach zu fragen, und tat dann so, als würde sie mir einen ungeheuren Gefallen erweisen. Trotz all ihres scheinheiligen Geschwätzes über Geiz war sie mehr als fähig, einem etwas vorzuenthalten, wenn es ihr in den Kram passte.
Sie brauchte jedes Mal eine Ewigkeit, um sich für die Abende herzurichten – das Haar glätten, die Wimpern mit dem Wimpernformer bearbeiten, Dinge, die mir inzwischen belanglos und seicht anstatt faszinierend und glamourös vorkamen – sodass ich, wenn wir dann ausgingen, heißhungrig und missmutig war. Essen war für Sally unwichtig, aber ich konnte nicht so hungern, wie sie das tat. »Na los doch, Livvy, lächele, du kannst das«, pflegte sie zu sagen und unterstellte damit, dass mein schlecht verborgener Ärger nichts weiter als eine Belanglosigkeit war.
Ich sehnte mich nach meinem eigenen Bett und fragte mich, warum ich diese blöde Tradition, in einem Zimmer zu schlafen, einfach so hingenommen hatte. Ich überlegte, auf das unbequeme Sofa auszuwandern, wusste aber, dass dies den Dritten Weltkrieg auslösen würde. Stattdessen stritten wir uns, ob der Ventilator an oder aus sein sollte, das Fenster offen oder geschlossen – es gab offenbar nichts mehr, worauf wir uns einigen konnten. Oder vielleicht waren wir uns ja immer uneins gewesen, nur hatte ich es nie
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