Seit jenem Tag
angeht, und nicht mich und dich.
Ich rastete aus. Ich vergeudete keine Zeit mit Quälerei oder Rührseligkeit oder Selbstzweifel – ich entschied mich für reine, ungezügelte Wut. Ich saß in der Wohnung meiner Mutter auf der Treppe und schrie Sally am Telefon an, als würde ich kein Ende mehr finden. Sie versuchte ein paar Mal ein Wort einzuwerfen, aber ich walzte sie nieder. Als ich fertig war, war mein Hals wund und rau, und sie war sprachlos. Jedenfalls dachte ich, dass es ihr die Sprache verschlagen hatte.
»Bist du fertig?«, fragte sie schnippisch.
»Ja.«
»Und du hast nicht eine Sekunde lang daran gedacht, dass er dich womöglich anlügt? Oder, ich weiß nicht, dass es vielleicht zwei Seiten der Geschichte gibt?«
»Er ist kein Lügner, Sally«, sagte ich geladen.
»Okay, dann ist er also kein Lügner. Er hat recht, ich bin zu ihm gekommen. Du hast mich so tief verletzt, Livvy. Was du zu mir gesagt hast … ich hatte nie eine Freundin wie dich. Ich konnte nicht begreifen, was ich da hörte. Ich glaubte, du seist verrückt geworden, und es gibt außer mir keinen, der dich besser kennt.«
»Stimmt.«
»Ja, stimmt!«, sagte sie zornentbrannt. »Und zu deiner Information, er war es übrigens, der mich geküsst hat. Du kennst ihn doch.« Ich ärgerte mich über ihr Insiderwissen und war wütend, dass sie sich zwischen uns gedrängt hatte. Natürlich wusste ich, was für ein hoffnungsloser Draufgänger er war – deshalb wusste ich ja auch, dass er ihren Kuss erwidert hatte –, aber mir war auch klar, dass er mir die Wahrheit darüber gesagt hatte, von wem es ausgegangen war. Das sagte ich ihr auch so, doch sie tat es ab.
»Und du hast recht, ich hätte ihm nicht sagen dürfen, wie gern du ihn hast, aber er war … er wollte mich, Livvy, und ich war so verdammt aufgebracht und wusste nicht, was ich daherredete. Ich wusste nur, dass ich das aufhalten musste. Es war schwer, verstehst du?«
Ich nahm ihr ihre Version nicht ab, dennoch spulte sich der Film in meinem Kopf in einer Endlosschleife immer und immer wieder ab. Ich hielt es nicht länger aus.
»Ich muss Schluss machen«, sagte ich, weil mein Kampfgeist durch Resignation abgelöst worden war.
»Beruhige dich erst mal. Es tut mir leid, Livvy, wirklich. Aber es ist nur passiert, weil ich dich liebhabe. Und weil du mich so tief getroffen hast.«
Für mich schien das nichts mehr als eine faule Ausrede zu sein.
Für den Rest der Woche hörte ich nichts mehr von ihr. Ich igelte mich in meinem winzigen Zimmer ein, hörte Kate Bush und hoffte darauf, dass die Woge tiefer Traurigkeit sich zurückziehen würde und etwas anderes zurückließe. Ich sah mich außerstande, jemanden vom College oder von der Schule anzurufen – Leeds kam wegen Sally nicht infrage, zu Hause nicht wegen James. Stattdessen tobte ich meine ganze Wut in meinem Tagebuch aus, wo die Tinte unter meinen Tränen verrücktspielte. Dann traf der Brief ein.
Liebe Livvy,
ich schreibe Dir, weil ich keinen weiteren schrecklichen Streit mehr ertrage. Das letzte Telefongespräch hat mich so niedergeschmettert, dass ich zwei Tage lang nichts essen konnte, und meine Mum findet, dass wir besser nicht mehr miteinander reden. Es tut mir leid, dass ich Dich verärgert habe, aber wie gesagt, es war eine Reaktion auf die unglaublich grausamen und gehässigen Dinge, die Du mir im Urlaub gesagt hast, zu dem ich Dich eingeladen hatte. Es tut mir auch leid, dass Du mir einen Jungen vorziehst und seinem Wort mehr traust als meinem. Offenbar existiert so etwas wie Mädchenpower tatsächlich nicht. Ich war gerne Deine Freundin, und ich mochte Dich sehr, doch was bringt eine Freundschaft, wenn das Vertrauen verschwunden ist. Wie es scheint, habe ich Dich/es völlig falsch verstanden, womit ich nur sehr schwer klarkomme. Den letzten Streit haben wir überstanden, aber das ist jetzt zu viel, um noch weitermachen zu können.
Du wirst mir sicherlich zustimmen, dass es das Beste ist, wenn wir nicht mehr länger zusammenwohnen. Offensichtlich hast Du gern bei Catherine gewohnt, deshalb solltest Du das auch weiterhin tun. Von den Sachen gehört ganz viel ohnehin mir, und ich weiß ja, dass Du immer in Sorge warst, es Dir nicht leisten zu können. Ich habe Lola gefragt, ob sie einziehen möchte, und sie hat zugesagt, sodass du Dir wegen der Miete keine Sorgen zu machen brauchst.
Ich wünsche Dir in jeder Hinsicht alles Gute. Ich hoffe, Du bekommst die Eins, die Du Dir, wie ich weiß, so sehr wünschst. Wir sehen
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