Seit jenem Tag
Explosion manipuliert hatte. »Es war ihr Geburtstag, Livvy«, sagte Jasmine, unsere alte Mitbewohnerin aus dem ersten Jahr, und sah mich vorwurfsvoll an. Ich war diejenige gewesen, die sich um sie bemüht und sich alle ihre langweiligen Geschichten aus ihrem Tramperjahr in Thailand angehört hatte, wohingegen Sally hinter der Kühlschranktür versteckt mit den Augen rollte, aber das zählte nicht. Geburtstage wurden zu meinem Reizthema und boten Sally die perfekte Gelegenheit, eine Entscheidung zu erzwingen, bei der ich immer leer auszugehen schien. Wenn ich sie im Gemeinschaftsraum sah, pumpte mein Körper Adrenalin in alle Zellen, während sie völlig ungerührt wirkte und ihr Blick an mir abglitt, als wäre ich ein Möbelstück, das ihr achtlos in den Weg gestellt worden war.
Es war zu viel für mich, denn für meine Empfindsamkeit konnte ich kein Heilmittel finden. So viel von meinem Leben in Leeds – von meinem Leben überhaupt – drehte sich um Sally, und jetzt war ich in die Wüste geschickt worden. Wie sich herausstellte, erwies es sich letztendlich doch als Segen, dass ich in einem Haus voller Mediziner gelandet war. Eine davon, eine schüchterne Studentin namens Hayley, die ich manchmal spätabends in der Küche traf, wenn Schlaflosigkeit mich zum Kühlschrank getrieben hatte, sprach mich eines Tages im Flur an.
»Es geht mich zwar nichts an, aber ich denke, du hast eine Depression.«
Die Tatsache, dass ich auf der Stelle in Tränen ausbrach, bestätigte ihre Theorie, und schon bald suchte ich den Universitätsarzt auf, weinte seine kratzigen Papiertaschentücher voll und erzählte eine Geschichte, die einer häufigeren Wiedergabe nicht standgehalten hätte. Zu meiner Überraschung wurde sie immer ausufernder, bis sie an Jonas und den Wal erinnerte und mein ganzes Selbst im schwarzen Maul verschwand. Ich weinte, weil ich Angst um meinen Vater hatte und wütend auf meine Mum war, die ihn verlassen hatte, und weil ich kein Vertrauen mehr in das ganze verdammte Universum hatte. Das so unsicher war und jederzeit umschlagen konnte und einen jeder Gewissheit berauben konnte. Weshalb ich am liebsten bei meinen vielgelesenen Büchern und den Schallplatten blieb, die ich schon tausendmal gehört hatte, jedenfalls die mit den Geschichten, deren Ende mir bekannt war.
Dieser Arzt hakte wenig nach, aber es half bereits, alles loszuwerden. Er bot mir Antidepressiva an, die ich vehement ablehnte, und so begab ich mich stattdessen in Therapie. Die Therapeutin war eine mütterliche Frau in einem Raum mit vielen Teppichen und angenehmer Beleuchtung, die mich so lange im Kreis gehen ließ, bis ich bereit war, mich von ihr sanft aus dem Labyrinth herausführen zu lassen. Dank ihrer Hilfe fand ich zu meinem Studieneifer zurück und bekam die Eins, die ich, wie von Sally zurecht erahnt, angestrebt hatte, und schaffte es, mit ein paar Erkenntnissen, die mir sehr weitergeholfen haben, ein schwieriges Jahr zu überstehen.
Doch Sally habe ich nie vergessen. Die Ansicht, dass sie nur das Symptom eines umfassenderen Krankheitsbildes war, konnte ich nie teilen. Tief in meinem Herzen glaubte ich immer daran, dass es Antworten gab, sofern ich nur herausfand, wo diese zu finden waren.
Kapitel 19
Es war zwar kindisch, aber ich verspäte mich absichtlich – um eine ganze halbe Stunde –, glaube jedoch nicht, dass es William überhaupt auffällt. Madeline liegt im Bett, und er hat am Schreibtisch im Wohnzimmer gearbeitet, der Laptop ist aufgeklappt, daneben steht ein Glas Wein. Inzwischen scheint jede verfügbare Oberfläche mit Papierstapeln und Plastikordnern bedeckt zu sein. Er verschiebt ein paar davon vom Sofa auf den Fußboden und holt eine Weinflasche aus dem Weinkühler auf dem Fensterbrett. Zwei Drittel davon sind bereits ausgetrunken, wie ich nicht umhin kann festzustellen.
»Es ist Weißwein, ich hoffe, das macht dir nichts aus. Ich habe noch eine gute Flasche Roten, den wir zum Abendessen trinken können.«
»Natürlich«, sage ich und lasse mich unbeholfen auf eine kleine Lücke zwischen den ganzen Papieren sinken.
»Entschuldige das Chaos. Ich muss die letzte Dokumentation meinen Anwälten in den Staaten per Kurier schicken, damit sie vor der Anhörung alles gut organisiert und vorbereitet haben.«
Ich spüre, wie meine selbstgerechte Wut angesichts der Realität dessen, was er durchmachen muss, abflaut. Keiner von uns hat jemals wieder auf die fabelhafte Nacht Bezug genommen.
»Sie findet ein paar Wochen nach
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