Seit jenem Tag
Chance geben wollen«, sagte sie in eisigem Ton und lächelte mich dann an. »Ach kommen Sie, Livvy, Sie wissen ja gar nicht, wie viel Sie gelernt haben. In einem Jahr werden Sie mir dafür dankbar sein.«
Die Dankbarkeit hat sich bis jetzt noch nicht eingestellt, nur eine düstere Erleichterung darüber, dass sie von einer Zukunft für mich spricht. Ich beobachte James, während ich es ihm erzähle, und bin davon überzeugt, dass er sich mit einer gewissen Schadenfreude ausmalt, aus der ganzen traurigen Geschichte womöglich für sich ein Liebeswochenende in New York herauszuschlagen.
»Das ist wirklich beschissen, Livvy, aber ich sehe nicht, wieso das Charlottes Fehler sein soll.«
»Sie hat es geplant und die Fäden gezogen …«
»Mary behandelt dich immer wie den letzten Dreck, das kannst du dir selbst gegenüber nur nicht eingestehen. Du hast zu große Angst, die Hand zu beißen, die dich füttert.«
»Nein, das tut sie nicht! Ich habe alles, was ich kann, von ihr gelernt. Sie ist wie … sie ist meine Mentorin.«
»Wenn du meinst«, erwidert James und wühlt erfolglos in der Bonbondose – wo nur noch die mit dem komisch schmeckenden cremigen Kern zu finden sind, nachdem ich aus lauter Selbstmitleid alle anderen aufgegessen habe. Ich entdecke noch ein Haselnussbonbon, das ich hinter einem Kissen verstaut habe, und reiche es ihm schweigend. Ich denke über das eben von ihm Gesagte nach, will aber nicht zugeben, dass es wahr ist, obwohl – ganz unwahr ist es auch nicht.
»Im Übrigen weiß ich wirklich nicht, warum du so auf Robot Girl stehst. Wenn nicht ihretwegen, würdest du doch sonst nicht an einem Freitagabend hier abhängen. Wie ist der letzte Stand der Dinge?«
James wirkt enttäuscht, fängt sich dann aber wieder.
»Es läuft gut. Wir waren Teetrinken – nun, grünen Tee –, am Mittwochnachmittag bei einem Japaner. Es tut gut, neue Dinge auszuprobieren.«
»Eine Stunde am Tag macht noch keine Beziehung aus«, erwidere ich hochtrabend.
Er sieht mich an – die Krönung meines Freitagabend-Outfits sind ein Paar leuchtend grüne Hausschuhsocken – und sagt nichts.
»Komm her«, meint er und schlingt einen seiner langen, gelenkigen Arme um mich. »Es wird alles gut mit uns. Es wird alles gut. Versprochen.«
Ich kuschele mich an ihn und atme seinen vertrauten Geruch ein. Und eine Sekunde lang glaube ich ihm.
Oktober 1997 – Juni 1998
Es konnte nicht von Dauer sein. So leicht ginge es dann doch nicht. Selbst wenn ich dazu bereit gewesen wäre, Sally die Freundschaft zu kündigen, lief der Vertrag für unser teuer möbliertes Gefängnis immer noch für ein weiteres Jahr.
Als ich nach Leeds zurückkam, lieferte ich mich meiner Freundin Catherine auf Gnade und Ungnade aus. Obwohl sie und ich uns recht nahestanden, ließ ich doch Umsicht walten, da sie in einigen Kursen auch Sally traf. Außerdem war ich mir, nachdem ich diesem Albtraum von einem Urlaub entkommen war, meiner selbst nicht mehr ganz so sicher und fragte mich, ob es nicht doch nur ein zwar schlimmer, aber letztendlich trivialer Zickenkrieg gewesen war, für die Mädchen berüchtigt sind. Das Ankommen war schwer. Verwirrung und Schuldgefühle hatten mich zu sehr verblendet, um den ersehnten Zusammenhalt in einem Studentenheim wirklich wertschätzen zu können, und der erlebte Luxus hatte mich zudem so verdorben, dass ich vor den dreckigen Geschirrbergen zurückzuckte.
Als ich Sally dann in der ersten Trimesterwoche über den Weg lief, war ich eine gebrochene Frau. Wir standen beide in der Kaffeeschlange des Gemeinschaftsraums, und ich wurde schmerzhaft an die vielen anderen Male erinnert, die wir dort prustend vor Lachen und einander zur Ruhe mahnend gestanden hatten, während wir uns immer krassere Vergleiche für das einfallen ließen, was der Kaffee tatsächlich war. Sie gab vor, mich nicht zu sehen, aber ich wusste, dass sie mich gesehen hatte, denn ihre Haltung wurde ein wenig aufrechter, sie drückte die Schultern nach hinten und verstärkte den Griff um ihre rote Plastikgeldbörse. Bei mir zog sich das Herz zusammen, und ich verdrückte wegen des Verlusts von etwas, das mir plötzlich kostbar und unersetzbar vorkam, ein paar Tränen. Mir fielen die schrecklichen Dinge ein, die ich ihr an den Kopf geworfen hatte, jene letzte Tirade, die sämtliche Granaten, die sie in meine Richtung geworfen hatte, entschärfte. Ich denke, dahinter steckte eher Selbstschutz als Altruismus. Es war leichter, die Schuld bei mir zu suchen –
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