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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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sie im gut geschürten Feuer meiner Ängste und Selbstzweifel zu verbrennen –, als sie draußen an der Peripherie liegen zu lassen, wo ich gezwungen wäre, auch das Kleingedruckte zu lesen. Mein Selbstgefühl war noch immer sehr fragil und nur ein dünnes Schutzdach, mit dem ich den Schmerz über den Zerfall meiner Familie bedeckt hatte, und ich wollte nicht riskieren, dass auch dieses zerstört wurde.
    Sie stand vor mir in der Schlange und nahm mich erst wahr, als sie ganz vorne angelangt war, endlose Minuten, in denen mein Magen wie ein wütendes Ungeheuer grummelte. Dann drehte sie sich auf ihren High Heels herum und hielt zwei Pappbecher dicht an ihren Körper.
    »Hallo, du«, sagte sie grinsend. Ihre Lippen hatte sie wie immer mit dem pflaumenfarbenen Lippenstift von Chanel bemalt. »Lust auf eine Tasse Jauche?«
    An jenem Abend zog ich zu ihr zurück. Sally hatte eine Flasche Champagner gekauft, keinen Cava, und sie drückte mich fast zu Tode, während sie den Korken knallen ließ. »Lass uns nicht darüber reden«, sagte sie mit vor Entsetzen geweitetem Blick. »Das pack ich nicht.« Und mir passte diese Lösung auch, denn ich war zu verwirrt und vor allem zu feige, um das Ganze auszudiskutieren – was hätte es auch gebracht, das Ganze noch mal durchzugehen?
    Und zweifelsohne war Sally nun auch netter zu mir. Sie bestückte den Kühlschrank mit mehr als nur Alkoholischem, dachte an die Dinge, die ich wirklich gern aß. Sie hörte auf damit, mir den Rücken zuzukehren, sobald ein Mann in ihren Dunstkreis trat, und ließ auch davon ab, all die Freunde, die nicht ihre waren, schlechtzumachen. Sie ging dazu über, mich ständig als Ebenbürtige zu behandeln, und nicht nur dann, wenn es ihr passte. Vielleicht hatte es auch doch etwas Gutes, dass die Situation damals in Spanien eskalierte, denn jetzt nach unserer Versöhnung fühlte ich mich in unserer Freundschaft wirklich gleichberechtigt.
    Sally bestand darauf, mich zum Bahnhof zu fahren, als ich Weihnachten mit dem Zug nach Hause fuhr. Unter Tränen umarmte sie mich zum Abschied, und ich war sehr gerührt.
    »Ohne dich wird es im Studentenheim verdammt komisch sein.«
    »Ich weiß.«
    »Vergiss nie, wie sehr ich dich liebhabe. Du bist meine beste, allerbeste Freundin.«
    »Ich dich auch«, sagte ich. »Und du meine auch!«
    Jubelnden Herzens und mit dem wohligen Gefühl, auf einem fliegenden Teppich zu schweben, brach ich nach Hause auf.
    Von James hatte ich in diesem Trimester nicht viel gehört, aber vermutlich war ich viel zu sehr in meiner anderen verwickelten Liebesbeziehung gefangen gewesen, um seiner Abwesenheit größere Bedeutung beizumessen. Unterbewusst war es womöglich sogar eine Erleichterung gewesen: Es wäre für Sally und mich wesentlich schwieriger gewesen, unsere kollektive Amnesie aufrechtzuerhalten, wenn er bei uns aufgetaucht wäre, schließlich hatten wir uns seinetwegen in die Wolle gekriegt. Sobald ich zu Hause war, wollte ich ihn unbedingt sehen, aber es bedurfte einiger Anrufe, bevor ich ihn erwischte und zu einem Abend im White Horse festnageln konnte, dem Pub, in den wir als Minderjährige immer versucht hatten, Alkohol einzuschmuggeln.
    »Hallo, Fremder«, sagte ich und merkte erst zu spät, dass ich mich eher nach Sally als nach mir anhörte. Was bedeutete »mir« überhaupt? Natürlich greift man Floskeln und Gewohnheiten von Menschen auf, die einem nahestanden, und fühlt sich ihnen dadurch noch mehr verbunden.
    »Hi«, sagte er und klang ganz fremd. Mir war klar, dass es mir nicht guttat, ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen, und ich hatte Angst, wie unser Gespräch verlaufen würde. Ich weiß auch nicht, warum ich als intelligentes Mädchen derart unfähig war zu realisieren, dass mir nur eine Beziehung helfen konnte, die auch hielt, was sie versprach. Wir sahen einander wachsam an. »Einen Gin Tonic für die Lady?«, fragte er und zupfte eine eingebildete Stirnlocke zurecht, und endlich erlaubte ich mir auszuatmen.
    Aber als wir uns setzten, fühlte es sich immer noch nicht richtig an. Wir versuchten an unsere letzte Begegnung anzuknüpfen und uns über die Ereignisse des letzten Trimesters auszutauschen, doch es nützte nichts.
    »Wie geht es Sally?«, fragte er bedächtig, und ich spürte, wie sich bei mir sämtliche Körperhaare aufstellten.
    »Ach, gut.«
    »Das ist gut. Richte ihr … richte ihr einen schönen Gruß von mir aus.«
    Wir kannten einander zu lang, und Arglist lag James wirklich fern.
    »Was hat sie dir

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