Seit jenem Tag
erzählt?«, forderte ich ihn auf und bekam einen roten Kopf dabei.
Er sah mich hilflos an.
»Ich habe ihr versprochen, nicht darüber zu sprechen.«
Mir schnürte es vor Wut die Kehle zu, und ich brachte keinen Satz heraus. Er zuckte verlegen mit den Schultern.
»Sie hat mich kurz vor Trimesterbeginn besucht.«
»Wie, hat sie dich angerufen?«
»Nein, sie ist einfach aufgetaucht. Sie kam von Gatwick.« Die Erinnerung schien ihm Angst zu machen. »Sie war in einer ganz fürchterlichen Verfassung. Sie kreischte, Livvy. Ihr Gesicht …« Er gestikulierte, und ich konnte es sehen, so klar, als stünde sie direkt vor uns: Ihr Gesicht, verschmiert mit Wimperntusche, mit Krokodilstränen, die aus ihrer Qual ein Gemälde malten. »Sie erzählte mir, du hättest diese schreckliche Auseinandersetzung mit ihr gehabt, und sie wüsste nicht, was sie tun soll.«
»Hat sie dir erzählt, was passiert ist?«
»Ja.«
Dumme Frage: Sie hatte ihm die Ereignisse in einem Fantasieszenario geschildert, das genau den Plänen entsprach, die sie verfolgte. Und ich wusste auf schreckliche, fatalistische Weise sehr genau, wie dieser Plan aussah.
»Sie war die ganze Woche biestig und hat sich mir gegenüber einfach unmöglich benommen.«
»Sie sagte, sie begreife gar nicht, was sie getan hat.« Sie war viel zu klug, Narben zu hinterlassen. Sie begnügte sich mit boshaftem Zwicken, das verdammt wehtat, aber keine blauen Flecken hinterließ. »Sie hat immer wieder betont, wie sehr sie dich mag und dass sie noch nie eine Freundin wie dich hatte.«
»Und was durftest du mir nicht erzählen?«, forderte ich ihn mit scharfer, brüchiger Stimme heraus. Er vertiefte sich in sein Bierglas. »Na los, spuck’s aus.«
»Sie hat mich geküsst«, sagte er, und ich verlor den Boden unter den Füßen. Dieser Verrat allein war schon genug, aber er diente zugleich als Falltür, die mir all die anderen Situationen wieder vor Augen führte, in denen sein Blick an mir vorbei auf ein Mädchen ein paar Schritte hinter mir fiel.
»Und du hast ihren Kuss erwidert«, entgegnete ich mit erhobener Stimme. In dem Moment wünschte ich mir, ich würde ihn nicht so gut kennen. Er würde das nie abstreiten, obwohl das für mich leichter zu ertragen wäre.
»Aber nur eine Minute. Mehr ließ ich nicht zu. Das versichere ich dir.« So verzweifelt hatte ich ihn noch nie erlebt, es war schlimmer als an jenem Morgen nach unserem verunglückten sexuellen Abenteuer. Sie war es, die ihm das angetan hatte, nicht ich.
»Was, sie wollte also?«
Er nickte, und ich sank zurück in den gepolsterten Sitz und versuchte mich zu sammeln. Ich fluchte nicht, ich schrie nicht. »Wie konnte sie das tun?«, sagte ich mit kleinlauter Stimme. Er sah mich an und überlegte fieberhaft, was er mir darauf antworten sollte. Meine Augen konzentrierten sich auf seinen schönen Mund, der mich nie wieder küssen würde, dessen war ich mir sicher.
»Es tut mir unendlich leid, dass ich es dir nicht erzählt habe. Ich Blödmann hätte kein Geheimnis draus machen sollen. Es war nur, weil sie sagte …« Und wieder wusste ich, was kommen würde, und machte mich darauf gefasst. »Sie sagte, du seist in mich verliebt und wärst zutiefst enttäuscht, wenn du es erfährst«, brach es linkisch aus ihm heraus. Er studierte mein Gesicht, aber ich hatte die passende Erklärung parat.
»Das hat sie nur so gesagt, wegen allem, was passiert ist, und wegen Matt und so.«
Und da sah ich sein Gesicht und die Erleichterung, die sich darauf ausbreitete. Das war womöglich das Schlimmste daran.
»Das weiß ich natürlich!« Er schüttelte den Kopf. »Sie ist unglaublich – es wird zwischen uns doch wieder alles gut, nicht wahr, Livvy?
»Ja, das wird es«, sagte ich und zwang mich zu einem Lächeln. Ich konnte es mir nicht leisten, dass irgendwas davon zwischen uns blieb, nicht einmal einen einzigen Abend lang – der Einsatz war zu hoch. Wenn ich ihn erneut verlor, wäre das für immer.
»Ich hätte es dir gleich erzählen sollen. Wenigstens weißt du es jetzt und kannst sie zum Teufel schicken.«
Er schlang seinen Arm um meine Schulter, und ich versuchte gegen das Zittern, das meinen ganzen Körper erfasste, anzukämpfen.
»Sie ist einen Dreck wert, Livvy. Gib dich nicht länger mit ihr ab.«
Ja, und trotzdem wolltest du sie küssen, obwohl sie völlig verheult war. Und du wolltest auch mit ihr schlafen, sonst hättest du dich nicht zurückhalten müssen. Und du hast etwas erlebt, das nur dich und sie
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