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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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einem Mann, der neben dem Buffet steht. Er sieht auf grobschlächtige Weise gut aus, kunstvoll zerzaust auf Designerniveau. Er trägt schwarz, aber es ist kein Anzug. Es ist ein kragenloses Hemd, das er zu schwarzen Chinos trägt, darüber lässig ein Jackett. Er starrt ins Leere, man spürt, dass er sich ausgeklinkt hat, doch er bewegt sich auf uns zu, als er ihren Blick auffängt. Es fällt mir unglaublich schwer, mich darauf einzustellen, weil Lolas Worte in meinem Kopf Flipper spielen. Tausend neue Fragen werden aufgeworfen, aber eine findet Antwort: Sally war noch immer Sally.
    Richie stellt sich vor, seine Manieren sind tadellos. Und dennoch spüre ich, dass er genauso zu kämpfen hat wie ich, und das nimmt mich mehr ein für ihn als für seine Frau, die, wie ich mir sehr gut vorstellen kann, noch im Atombunker einen perfekten Martini mixen würde.
    »Wie lange bleiben Sie hier?«, frage ich, weil ich mir nicht sicher bin, was die Etikette bei einem so schrecklichen Anlass wie diesem vorschreibt. Ist es respektlos, vom Thema Sally abzuweichen? Ich bin mir nicht sicher, ob es mir gelänge, mich zusammenzureißen, wenn wir weiterhin über sie sprächen, außerdem habe ich Angst, jemand könnte zu sehr nachhaken, wo ich in den Jahren dazwischen gewesen bin.
    »Wir fliegen mit dem Nachtflug zurück«, sagt Richie. Er gehört zu den Männern, die einem beim Sprechen ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zukommen lassen, als würde der Rest der Welt sich in nichts auflösen. »Wir haben die Kinder bei meiner Schwester gelassen. Wir müssen wieder zurück.«
    Die Art und Weise, wie er das sagt, verrät, dass mehr als nur praktische Erwägungen dahinterstecken.
    »Wir werden da sein, um die beiden zu unterstützen, wenn sie nach Hause kommen«, meint Mara mit Blick auf Madeline, die wie ein Bodyguard an Williams Seite verweilt. »Das ist schließlich unsere Aufgabe, nicht wahr?«, ergänzt sie und sieht dabei Richie an.
    »Ja«, stimmt er ihr zu und versinkt dann in betretenem Schweigen.
    Ich starre auf Madeline – muss es tun –, Sallys kleinen Sprössling, der Teil von ihr, den sie zurückgelassen hat. Sie ist ihr wie aus dem Gesicht geschnitten und erinnert mich so an sie, dass ich es nicht mehr länger hier aushalte.
    Unbeholfen entschuldige ich mich und steuere die Toilette an, aber die Tür ist abgeschlossen. Ich halte Ausschau nach einer Ausweichmöglichkeit – dort ist das Zimmer aus Sallys Kindheit, die Tür fest verschlossen. Meine Augen fangen zu brennen an, als mich die Erinnerung einholt, wie wir beide uns dort verkrochen und in so endlos lange und intensive Gespräche vertieft hatten, dass ihre Mum uns am nächsten Tag tatsächlich aus dem Bett zerren musste. Es ist verrückt, aber wie William sagte, als er dort vorne vor einer Kirche voll Trauernder stand, ist die Vorstellung einfach verrückt, dass ein Mensch, der so aufgeweckt und fröhlich war wie sie, sich einfach in Luft auflösen konnte. Ich vermisse sie wirklich schrecklich. Oder muss ich mir eingestehen, dass ich einfach das Gefühl vermisse, eine so gute Freundin zu haben, die einen in- und auswendig kennt?
    Ich steuere den Garten an, weil ich plötzlich Mühe habe, genügend Luft zu bekommen. Auf dem Rasen schwirren ein paar Leute herum, und ich ziehe mich zurück, weil ich kein stockendes Gespräch mehr ertrage. Ich schleiche mich ums Haus herum in der Hoffnung, mich irgendwo verstecken zu können.
    Da ist William. Er hält in einer Hand sein Telefon und betrachtet das Display, in der anderen Hand eine brennende Zigarette. Er nimmt einen tiefen Zug, dann entdeckt er mich.
    »Tut mir leid, ich …«
    »Nein, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen«, sagt er und lässt sie schuldbewusst fallen, um sie erst auszudrücken und anschließend wieder aufzuheben und ordentlich in die Packung zurückzustecken. »Verzeihung, das ist eine widerliche Angewohnheit. Ich glaube, wir sind uns noch nicht begegnet.«
    Es ist tatsächlich eine schlimme Angewohnheit und auf einer Beerdigung auch seltsam nihilistisch. Doch schon einen Augenblick später schelte ich mich für meine Voreingenommenheit: Um einen Tag wie diesen durchzustehen, musste man ihm wohl jedes Hilfsmittel zugestehen, das er zu brauchen glaubte.
    »Ich bin Olivia.«
    Ich weiß nicht, ob ich es mir nur einbilde, aber ich habe das Gefühl, dass es ihn schüttelt.
    »Du bist Olivia?«
    »Ja«, sage ich verunsichert. Was mag sie ihm erzählt haben? Sollte sie ihm erzählt haben, dass ich sie angefleht

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