Seit jenem Tag
beschert.
Mein Hotel scheint sich in Midtown zu befinden, es ist ein unspektakulärer Betonbunker und unterscheidet sich in nichts von allen anderen Hotels für Geschäftsreisende auf aller Welt. Der grauhaarige Portier – ein warmherziger, freundlicher New Yorker, der gar nicht glauben kann, dass ich zum ersten Mal hier bin – zeigt mir, wo ich ein Stück weit den Gehweg hinunter eine gut besuchte italienische Trattoria finde, wo ich mit einer aufgeschlagenen Grazia zu Abend esse und dabei vergeblich versuche, nicht an William zu denken. Dass ich ihn wiedersehen werde, steht für mich fest – sowohl er als auch ich werden dafür sorgen, dass die Patenschaft, die ich für Madeline übernommen habe, kein leeres Versprechen bleibt –, doch der Gedanke, höfliche Konversation auf der Türschwelle machen zu müssen, während eine Frau, die weniger gut als ich über die Narben auf seinem Herzen Bescheid weiß, im Hintergrund herumwuselt, bricht mir fast das Herz.
Aber als am nächsten Morgen mein Telefon dreimal hintereinander klingelt, während ich in der winzigen Duschkabine stehe, kann ich doch nicht anders und mache mit mir folgenden Deal aus: »Wenn ich meine Haarspülung erst ausspüle, nachdem ich bis sechzig gezählt habe, ist er es«; »Wenn ich mich zwischen den Zehen einseife, ist er es«. Natürlich ist er es nicht, er wäre auch nie so unverschämt, dreimal hintereinander anzurufen. Es ist Flynn.
»Dann sind Sie also gelandet«, sagt er gereizt. »Das wusste ich nicht.«
»Ich habe versucht, Sie gestern Abend anzurufen, bekam aber keine Antwort.«
Sicherlich ist er entsetzt, dass Mary ihn mit dem Mädchen von der Ersatzbank abgespeist hat.
»Nun, jetzt habe ich Sie ja gefunden. Wir treffen unser erstes Mädchen mittags im Pastis. Das werden Sie doch hinkriegen?«
»Ja, natürlich«, sage ich, ohne die geringste Ahnung, was oder wo dieses Pastis sein mag. Ich verabschiede mich und streife mir rasch meine Kleider über. Mir bleiben drei Stunden – vernünftig wäre es, bis später zu warten, doch die Vernunft spielt in diesem Fall keine Rolle.
William hatte recht, New York ist wirklich überwältigend. Alles stürmt auf mich ein: die langen Avenuen, die hohen Gebäude, die alten, in Pelz gehüllten Damen mit riesigen Sonnenbrillen im Gesicht, die mit ihren winzigen Hunden über die Gehwege wanken. Einerseits hätte ich es gern genossen, aber es allein zu genießen, macht wenig Freude.
Ich brauche vierzig Minuten in einem miefigen Taxi, um zu einem großen Backsteinmausoleum von einem Gebäude zu kommen, das inmitten eines Industriegebiets liegt. Ich stehe auf zitternden Beinen und mit Herzklopfen davor und betrachte es, bevor ich die schwere Tür aufdrücke. Der Anblick des strengen grauhaarigen Mannes hinter dem Empfangstresen verdeutlicht mir, wie schlecht vorbereitet ich bin. Was immer Lola über mich gesagt hat, ich hasse es zu lügen. Ich darf keinesfalls erröten oder stottern, wie ich das normalerweise tue, darf keinerlei Verdacht erwecken, eine Schwindlerin zu sein. Ich kann nur hoffen, dass er Sally nie gesehen hat. Uns beide würde man nicht verwechseln, nicht eine Sekunde lang.
»Ich bin Sally Atkins«, sage ich und strecke ihm zuversichtlich meine Hand entgegen. Mein Selbstvertrauen ist gewachsen, das lässt sich nicht leugnen, und das verdanke ich zum Teil William. »Ich war in England und bin dummerweise in Zahlungsrückstand geraten. Ich würde gern bar bezahlen.«
»Ich sollte Sie um Ihren Personalausweis bitten, aber ich habe eine Schwäche für den britischen Akzent«, entgegnet er grinsend.
»Tatsächlich?« Ich zähle ihm das Geld schnell hin, ehe er es sich anders überlegen kann. »Das sollte reichen, und das hier«, sage ich und lege noch eine Zehndollarnote dazu, »ist für Sie.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, Ma’am«, bedankt er sich und legt seine fleischige Pranke auf die Geldscheine. »Werden Sie den Lagerraum auflösen?«
»Ja. Ja, das werde ich.«
»Ein Glück, dass sie noch daran gedacht haben, fast wären Ihre Sachen auf dem Müllwagen gelandet.«
Ich steige innerlich angespannt drei Treppenfluchten hinauf und gehe dann einen langen, dunklen Korridor entlang, bis ich endlich die Tür erreiche.
Was ich erwartet hatte, weiß ich selbst nicht – vielleicht, dass ich wie Alice durchs Kaninchenloch fallen und ein Paralleluniversum voller Anhaltspunkte betreten würde –, aber alles, was ich vorfinde, sind gestapelte Pappkartons, weitaus schäbiger und
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