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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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mich mit ihrem freundlichen mütterlichen Gesicht besorgt anschaut. Wir werden in einer Stunde landen, und das bedeutet, dass ich annähernd sechs Stunden und dreizehn Minuten geweint habe.
    »Danke«, sage ich und greife mit einem dankbaren Lächeln nach den mir angereichten Servietten.
    Glauben Sie mir, so hatte ich mir meine erste Reise nach New York nicht vorgestellt. Ich hatte das ganze vergangene Wochenende in Tränen aufgelöst verbracht, meine Trauer und mein Schmerz sitzen offenbar so tief, dass ich langsam Angst bekomme, ich könnte den Boden unter den Füßen verlieren. Ich musste an Williams Worte denken, dass er sich so wertlos fühlte, und spürte nun endlich selber, warum er mich von sich wegschieben musste. Doch diese Erkenntnis half meinem gebrochenen Herzen wenig, denn es macht mir sehr zu schaffen, ihn verloren zu haben.
    Und dann wurde ich am Montag in Marys Büro zitiert, wo ich durch meine pausenlose Heulerei mit ganz roten Augen erschien. Charlotte hatte angerufen und ihr mitgeteilt, sie müsse die Reise »aus persönlichen Gründen« absagen, und so musste ich mich jetzt wieder um Flynn Gerrard kümmern und in einer Woche nach New York fliegen. Ich überlegte, Marys Angebot nicht anzunehmen, schließlich hatte ich auch meinen Stolz, aber etwas hielt mich davon ab. Etwas riet mir, einfach die Dinge zu nehmen, wie sie sind, und mich zu fügen. »Ich werde die entsprechenden Vorkehrungen treffen«, sagte ich mit einem zuckersüßen Lächeln. Sie versuchte mit geheuchelter Besorgnis mein Handgelenk zu packen, indem sie ihre Finger wie knochige Handschellen zuschnappen ließ, doch ich entriss es ihr und rechtfertigte mein fleckiges Gesicht mit einer allergischen Reaktion auf eine aggressive Feuchtigkeitscreme.
    William weiß nicht einmal, dass ich hier bin. Ich werfe einen Blick auf meine Uhr, die noch immer Londoner Zeit anzeigt. Neun Uhr abends: Ich stelle mir vor, wie er mit der vor sich ausgebreiteten Times an seinem nagelneuen Küchentisch sitzt, sein Fertiggericht isst und mit dem vierten Glas Wein an diesem Abend hinunterspült, das in Griffweite steht. Hat er mich bereits völlig vergessen? Er hat nicht einmal versucht, Kontakt zu mir aufzunehmen, nicht einmal mit einer SMS , und ich frage mich, ob die Erleichterung, sich nicht mehr länger anstrengen zu müssen, etwa den Schmerz übertrumpft, den mein Verlust ihm womöglich bereitet. Doch dieser Gedanke tut so weh, dass ich ihn von mir wegschiebe.
    Das Taxi schießt über die Hudson Bridge, und zum ersten Mal breitet sich die Skyline von New York vor mir aus und löst in mir ungeachtet aller Widrigkeiten einen regelrechten Begeisterungssturm aus. Aber kurz darauf kehrt die Traurigkeit zurück. Ich denke an Sally, wie sie mit weit ausgebreiteten Armen »Manhattan!« ruft. Ich war immer davon ausgegangen, dass sie es wäre, mit der ich zum ersten Mal nach New York reisen würde – dabei fällt mir ein, wie ich ihr den verrückten Plan, unseren gesamten Studentenkredit für ein paar Flugtickets auszugeben, ausgeredet habe, in der Gewissheit, dass uns noch jede Menge Zeit blieb, dies nachzuholen, wenn wir erwachsen genug waren und es uns mit unserem Verdienst leisten konnten. Ich hole den Chip heraus, lege ihn in meine Handfläche und stelle mir vor, wie er in ihrer lag. Und da kommt mir plötzlich ein Gedanke.
    » Capricorn Holdings «, meldet sich eine gelangweilte Frauenstimme.
    Ich hole tief Luft.
    »Hi, mein Name ist Sally Atkins. Ich wollte mich nur erkundigen, ob mein Lagerraum noch in Gebrauch ist.«
    »Bitte warten Sie einen Moment.«
    Es liegt auf der Hand. Wenn es Zeiten gab, in denen sie nicht mit ihm verheiratet sein wollte, warum hätte sie dann nicht diesen logischen Schluss ziehen sollen?«
    »Sie sind im Rückstand, Ma’am. Sie bekommen erst wieder Zugang zu allem, wenn Sie Ihre Schulden beglichen haben.«
    Ich triumphiere, bis ich mir klarmache, was ich da tatsächlich tue: Ich gehe ein weiteres Stück Weg in Sallys hochhackigen Schuhen, und das unsicheren Schritts und mit unbekanntem Ziel.
    »Selbstverständlich. Wie viel schulde ich Ihnen denn?«
    »Dreihundertsechzig Dollar. Die bar beglichen werden müssen.«
    Am liebsten würde ich gleich aufbrechen, aber in einer Stunde schließt man dort und macht erst am Tag darauf um acht Uhr morgens wieder auf.
    Flynn muss mir erst noch seinen Terminplan mitteilen, und so kann ich nur hoffen, dass seine pathologisch locker-flockige Einstellung mir ein paar kostbare Stunden

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