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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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sieht ein paar Jahre jünger aus als ich. Eine große Brille mit dunklem Gestell beherrscht ihr Gesicht, ein schlau gewähltes Accessoire, das einem vorgaukelt, es mit einem reizlosen, ernsthaften Typ zu tun zu haben und nicht mit einer elfenhaften Schönheit, als die sie sich bei genauerem Hinsehen entpuppt. Ich stelle mich vor und kann nur hoffen, dass ihr das Zittern meiner Hand nicht zu sehr auffällt. Dann wende ich mich behutsam Flynn zu, der mich mit seinem breiten Löwengrinsen ansieht, das seine berühmten grünen Augen so gut wie nie erreicht – sie bleiben so kalt und leblos wie ein stehendes Gewässer.
    »Entschuldigen Sie die Verspätung.«
    »Machen Sie es sich bequem, Livvy. Ich winke gleich den Kellner herbei. Lust auf Schampus?«
    Ich könnte mir nichts vorstellen, wonach mir weniger der Sinn stünde, denn ganz abgesehen von der Tatsache, dass mir so gar nicht nach Feiern zumute ist, unterhalten wir uns immerhin über einen Film, in dem es um Frauen geht, die in bitterer Armut leben. Ich nippe an meinem Glas und versuche, mich auf das Treffen einzulassen, während meine Hand über die Umrisse der Schlüssel in meiner Handtasche streicht. Für dich – diese beiden Worte gehen mir nicht mehr aus dem Kopf.
    Kirsten ist eine erste Regieassistentin. Dies bedeutet zwar, dass sie ausgesprochen gut darin ist, Leute herumzukommandieren, aber nicht, dass sie tatsächlich schon mal selbst Regie geführt hat, eine Tatsache, die ich ihr zufällig bereits in den ersten fünf Minuten entlocke, was mir einen finsteren Blick von Flynn einbringt. Die beiden hatten bei Sh*t Happens 2 eine »wahnsinnig tolle Zeit« miteinander, über deren Qualität ich mich zu wundern beginne, als ich die flirtenden Blicke beobachte, die sie einander zuwerfen, wenn sie sich von mir unbeobachtet glauben. Ich frage sie, welche Art von Filmen sie beeinflusst haben, und liefere mich damit einem verbalen Sperrfeuer aus.
    » Taxi Driver, Chinatown, Good Fellas …«, schleudert sie mir mit näselndem New Yorker Akzent entgegen, wobei Flynn buchstäblich an jedem ihrer Worte hängt. Sie scheint überhaupt nicht kapiert zu haben, worum es geht, dass dieses Projekt nichts mit einem Gangsterfilm zu tun hat, doch ich habe resigniert und werde mich auf keinen Kampf einlassen, den ich nicht gewinnen kann.
    » Hervorragend«, sage ich und versuche dabei nicht auf meine Uhr zu sehen. Noch ein paar Fragen, ein weiterer Toast auf Flynns allgemeine Freigebigkeit, dann sollte ich mich auf den Weg zur Wohnung machen können. Und da läuft es mir plötzlich eiskalt über den Rücken: Was ist, wenn diese Person, an die Sally sich mit der Dokumentenmappe richtete, tatsächlich dort wohnt?
    »Livvy?«, blafft Flynn mich an.
    »Ja, nein. Es ist großartig«, sage ich und versuche mich wieder zu konzentrieren.
    »Was, Sie finden es tatsächlich rechtens, dass ein Prozent der Bevölkerung die Kontrolle über neunundneunzig Prozent von Amerikas Reichtum hat?«, wundert sich Kirsten, die Lippen, die in einem ungewöhnlichen Braunton angemalt sind, wie ihn sonst nur Hipster tragen, tadelnd geschürzt. Sie umschließt damit das Champagnerglas und genehmigt sich einen großzügigen Schluck, um sich von dem Schock zu erholen. Ich habe genug von diesem Theater. Ich stehe auf und greife nach meinem Mantel.
    »Es tut mir sehr leid, ich weiß, dass ich diesem Treffen nicht gerecht werde. Ich habe ziemlich schockierende Nachrichten von zu Hause bekommen und muss mich jetzt darum kümmern. Ich bin mir sicher, dass Sie das ganz wunderbar machen werden, außerdem haben Sie Flynn hier, der Ihnen alles erzählen wird, was Sie wissen müssen.«
    Ich hatte gehofft, dass er mit Erleichterung darauf reagiert – schließlich deutet alles darauf hin, dass sie lieber ungestört sein wollen –, dem ist allerdings nicht so.
    »Wir müssen aber doch noch besprechen, was die tatsächliche Aussage des Films ist.«
    Vielleicht sollte ich noch kurz ein Statement dazu abgeben, mir fällt jedoch nichts mehr dazu ein.
    »Ich muss mich leider entschuldigen.«
    »Es gibt noch zwei weitere Kandidaten.«
    Welche Freude, mir nicht die Scharade antun zu müssen, auch sie noch zu treffen. Wahrscheinlich werde ich meinen Job verlieren, aber auch das ist mir inzwischen egal. Im Moment jedenfalls.
    »Schön, Sie kennengelernt zu haben, Kristin«, sage ich, ohne auf Flynn einzugehen.
    »Ich heiße Kirsten.«
    »Kirsten! Ich rufe Sie später an, Flynn.«
    Das Taxi hält vor einem düster wirkenden

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