Seit jenem Tag
greifen nach unseren Tassen und rennen los wie Schulmädchen, die zur Direktorin zitiert werden. Mary sitzt am Kopfende des Sitzungstisches und ist trotz der sechs Lakaien, die um sie herumsitzen und darauf warten, nach ihrer Pfeife zu tanzen, in ihr iPhone vertieft. Sie trägt einen Overall in grellem Pink, dazu ein auffälliges Silbergehänge über ihrem durchtrainierten Bauch. In Kombination mit den großen Goldkreolen, die von ihren Ohren baumeln, wird klar, dass dieser Aufzug als Absichtserklärung gedacht ist, als teure noch dazu – er soll uns daran erinnern, dass sie stark genug ist, ein derartiges Ensemble zu tragen und zur Geltung zu bringen.
Charlotte, eine giftige Senior Creative, die vor Kurzem von einer anderen Firma abgesprungen ist, hat sich ihren Platz an Marys rechter Seite gesichert. Sie ist geschniegelt und gestriegelt und ganz und gar darauf konzentriert, Erfolg zu haben. Ob sie tatsächlich das künstlerische Genie ist, als das sie uns angepriesen wurde, weiß ich nicht, doch dieses Maß an Selbstbewusstsein garantiert Ergebnisse. Ich bewundere das in gewisser Weise, das hindert Rosie und mich allerdings nicht daran, sie hinter ihrem Rücken Robot Girl zu nennen. Ich denke, Mary weiß, wie skrupellos sie ist, aber sie eine Verfechterin des gesunden Wettbewerbs: Ich jedoch bezweifle, dass es so etwas gibt.
Endlich geruht Mary aufzublicken.
»Alle ordnungsgemäß angetreten«, sagt sie und sieht mich dann an. »Hallo, Livvy. Ich hoffe, der gestrige Tag verlief so gut, wie etwas derart Schreckliches über die Bühne gehen kann.«
»Danke«, erwidere ich und lächele tapfer, doch ihre Aufmerksamkeit wendet sich bereits anderen Dingen zu. Mit Mary ist das so, wenn sie will, kann sie unglaublich menschlich sein. Kurz nach meiner Trennung von Marco traf sie mich am Vormittag heulend auf der Toilette an – ich wappnete mich bereits für einen Anschiss, aber stattdessen sagte sie ihr Meeting ab und ging mit mir auf eine Tasse Tee um die Ecke. Ich schüttete ihr mein Herz aus, und sie hörte mir zu und tröstete mich. Dafür schätzte ich sie – schätzte sie für ihre Fürsorge, denn sie zeigte auch ehrliches Interesse daran, was für ein Mensch man war und was einen gerade bewegte. Meine Loyalität ihr gegenüber ist so gut wie unerschütterlich, ungeachtet der Tatsache, dass man sich in der Arbeit oft vorkommt wie auf einem Hindernisparcours.
»Der heutige Tag ist ein höchst aufregender Tag für unsere Firma«, sagt sie. »Lassen Sie mich Ihnen erklären warum. Nicht, weil die neuen Aufträge um fünfzehn Prozent zurückgegangen sind.« O Gott, vielleicht ist das eine für Mary typische Überleitung zu einer wichtigen Ankündigung. Alle blicken betroffen drein, obwohl der Geschäftsrückgang bereits thematisiert wurde, und Mary erlaubt sich, unser Unbehagen einen Moment lang zu genießen. »Keiner kann die Leute, die um diesen Tisch sitzen, dafür verantwortlich machen«, gibt sie schließlich zu. »Nein, wir müssen unter den gegebenen Umständen andere Ideen entwickeln. Wir werden aufgrund unserer vorzüglichen Leistungen überleben, und um diese unter Beweis zu stellen, ist Pro bono -Arbeit am besten geeignet. Gestern Abend war ich mit Flynn Gerrard essen.« Gerrard ist ein umwerfender irischer Schauspieler, der in Hollywood groß herausgekommen ist, aber, wenn man ehrlich ist, seit gut fünf Jahren keinen Kassenschlager mehr gehabt hat. Er springt zwischen stumpfsinnigen Indiestreifen und kostspieligen Actionfilmen hin und her, von denen jedoch keiner an die großen Erfolge seiner frühen Streifen anknüpfen kann. »Das Leben ist hart, ich weiß«, ergänzt Mary mit einem selbstironischen Kichern.
»Sieht er wirklich so gut aus wie im Kino?«, lispelt Charlotte, durch Marys gute Laune ermutigt. Charlotte hat ihren widerlichen Hang zum Mädchenhaften zum Patent erhoben und nutzt ihn, um ihre eigentlichen Absichten zu kaschieren.
»Wenn man so was mag«, erwidert Mary trocken. »Flynn hat seine frühe Kindheit in Afrika verbracht und nun vor, sich das nächste Jahr eine Auszeit zu nehmen, um dem Land etwas zurückzugeben.« Was im Klartext heißt: Flynn schafft es um keinen Preis mehr, ein gutes Drehbuch an Land zu ziehen, und sucht verzweifelt nach einem anderen Weg, sein Profil wieder aufzuwerten. Schauspieler, dass ich nicht lache. »Er ist wirklich ein wunderbarer Mann«, ergänzt Mary, und ich weise mich zurecht. Seit wann bin ich denn so zynisch geworden? Wenn ihm bewusst geworden
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