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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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Optimistin, und ich sehe nicht ein, warum sie sich mit meinen Problemen herumschlagen soll.
    »Scheint ein netter Typ zu sein«, meint sie, nachdem ich ihr mit Tränen in den Augen beschrieben habe, wie William seine Totenrede gehalten hat.
    Ich muss daran denken, wie er hinter dem Haus auf und ab gelaufen ist und dabei gierig an seiner Zigarette gezogen hat. Gequält ist das Wort, das mir dabei als Erstes in den Sinn kommt. Ich erzähle ihr alles, was ich von Lola erfahren habe, und von den Bruchstücken des Telefonats, das ich mitbekommen habe.
    »Ich muss ständig daran denken«, sage ich und tauche dabei meine Finger geistesabwesend in das heiße Wachs der brennenden Duftkerze. »Obwohl es mich eigentlich gar nichts angeht.«
    »Na ja, irgendwie sorgt er schon dafür, dass es dich was angeht«, meint sie. »Wenn du ihn triffst, erfährst du ja vielleicht die Wahrheit.« Das Verrückte ist, dass ich eher mit dem Gegenteil rechne – als würde sie umso schwerer fassbar werden, je näher ich ihm komme. »Mein Gott, ich frage mich, wie er …« Jules lässt den Satz unbeendet. »Tut mir leid, ich sollte nicht schlecht über Tote reden.«
    »Nein, das solltest du nicht«, sage ich schärfer als beabsichtigt: Warum prescht noch immer ein Teil von mir vor, um Sally in Schutz zu nehmen? »Wenn du ihre kleine Tochter gesehen hättest …«
    »Beruhige dich, Livvy, ich will damit doch nicht sagen, dass ich froh über ihren Tod bin. Ich meine nur – die Ehe mit ihr dürfte nicht einfach gewesen sein.«
    »Ja, mag sein«, lenke ich ein und habe es plötzlich eilig, das Thema zu wechseln. Es sind nicht nur die reinen Fakten von Sallys Tod, die mich verfolgen, sondern auch dieser Abgrund. Der Abgrund zwischen der warmherzigen und lebhaften Frau, die er beschreibt, und der Frau, die ihn heimzusuchen schien, als er wie ein Gefangener auf diesem Stück Beton hin- und hergelaufen ist. »Nimm’s mir nicht übel, aber ich glaube, die Hühnchen Kiew sind angebrannt.«
    Als wir sie aufgegessen haben, greift Jules in einen Stapel von Kochbüchern und zieht einen braunen Umschlag hervor, den sie dort versteckt hatte.
    »Schau dir die an« , sie zieht ein paar Schwarzweißfotos heraus und klatscht sie auf den Tisch , »und sag mir ganz ehrlich, wer mein Promidoppelgänger ist.«
    Es sind Profiaufnahmen in 10 x 15 cm von ihr und einem sehr zappelig wirkenden Nathaniel. Jules trägt ein graues Etuikleid, das seit Jahren ihr Ausgehgewand ist, und sieht darin nach ihrer Schwangerschaft zugegebenermaßen ein wenig zu sehr hineingepresst aus. Sie lächelt, aber das Lächeln kommt nicht rüber – es ist schief, und sie zeigt zu viel Gebiss – und ihr Haar klatscht an ihrem Schädel wie ein Topfschnitt. Für eine sehr attraktive Frau sieht sie einfach nicht aus wie Jules.
    »Hm … Angelina Jolie nach einem Schaufenstereinbruch?«
    »Martin Clunes, dem sehe ich ähnlich, dem verdammten Martin Clunes.«
    »Ach, Jules, das ist doch nicht wahr!«, sage ich und pruste dennoch los vor Lachen.
    »Es ist so, verdammt! Phil wünscht sich das zu seinem Geburtstag: ein professionelles Foto von uns beiden. Ich kann ihm die doch unmöglich schenken.«
    »Lass es noch mal machen. Ich begleite dich! Dann kümmere ich mich um dein Make-up und halte Nathaniel zwischen den Aufnahmen im Arm.«
    »Mal sehen«, meint sie grübelnd. »Ich weiß nicht, ich habe dem viel zu viel Gewicht beigemessen, als hätte es Symbolwert für alles.«
    Jules ist normalerweise für Symbolhaftes nicht anfällig.
    »Für alles?«
    »Als würde ich nie wieder ich selbst sein.«
    »Du bist du!«
    »Nein, das bin ich nicht, Livvy. Nach einem Baby bist du nie mehr ganz dieselbe.« Sie sieht mich an und sucht nach der richtigen Übersetzung dessen, was sie mir sagen möchte – wobei ich nicht weiß, ob sie glaubt, ich würde sie nicht verstehen, oder ob sie mir nicht wehtun möchte, jedenfalls vermittelt sie mir das Gefühl, eine Sekunde lang sehr weit weg zu sein. »Ich schwöre dir, dass ich mich niemals zu einem dieser selbstgefälligen Freaks entwickeln werde, die Mutterschaft zu einer Art religiösen Erfahrung erheben, aber sie verschiebt doch einiges in dir.«
    Es mag durchaus sein, dass ich der Tatsache, einen Teil von Jules an ein Land verloren zu haben, für das ich noch nicht mal ein Visum habe und womöglich nie eins bekommen werde, ein wenig ablehnend gegenüberstehe. Man darf mich da nicht falsch verstehen, ich finde es wunderbar, Tante zu sein – die Liebe, die ich aus

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