Seit jenem Tag
bloßes Zucken verständigen, jedenfalls, wenn es um unsere Eltern geht.
»Mit wem warst du denn essen, Mum?«, fragt sie. »War es vom Kurs aus?«
»Gewissermaßen. Kevin ist im Kurs.« O Gott, da liegt der Hund begraben. »Nun sieh mich nicht so entsetzt an, Livvy, Kevin ist nur ein Freund. Wie geht’s übrigens mit deinen Onlinedates? Du hast mir seit Wochen nichts mehr erzählt.«
»Ja, was läuft da?«, mischt Jules sich ein. »Und hast du außerdem deine Geschichte eingesandt?« Mum sieht sie fragend an. »Sie hat an einer Kurzgeschichte für einen Wettbewerb gearbeitet. Natürlich ist sie brillant, aber sie ist ja so eine verdammte Perfektionistin …«
Ich falle ihr ins Wort.
»Sie ist nur okay und außerdem noch nicht fertig. Ich war in den letzten Wochen ehrlich gesagt auch kaum in der Lage, an irgendwas zu denken …«
»O Liebling«, sagt Mum und kommt zu mir, um mich in ihre Arme zu schließen. Ihr Geruch – Pears-Seife mit einem Hauch von Knoblauch – ist vertraut und tröstlich. »Ich habe nur auf den richtigen Moment gewartet, um dich zu fragen.«
Also versuche ich, alles noch mal zu beschreiben, was mir bei ihr noch schwerer fällt als bei Jules. »Es war einfach nur traurig«, bricht es aus mir heraus, und ich lehne mich an sie, dankbar, die Suche nach Worten aufgeben zu können, die mir nicht einfallen. Sie hält mich fest, und ich sinke an ihre vertraute Brust.
»Es bleibt uns verschlossen …«, sagt sie und wiegt mich ein wenig.
»Was bleibt uns verschlossen?«
»Die Mysterien des Universums. Wann unsere Zeit gekommen ist.«
Ich löse mich von ihr.
»Es kann doch unmöglich ihre Zeit gewesen sein! Sie hat … sie hatte«, korrigiere ich mich, und meine Wut steigert sich, »ein siebenjähriges Kind. Sie war doch erst fünfunddreißig!« Mum nickt darauf weise wie eine afrikanische Dorfälteste.
»Genau. Es steckt keine Logik dahinter, und doch muss es in einem kosmischen Sinn eine geben.« Ich weiche einen Schritt zurück und sehe sie finster an, bevor ich einen Schluck aus meinem Glas trinke.
»So, hier hast du deinen Kindle!«, sagt Jules fröhlich.
Noch immer unter Strom stehend, leiste ich mir für die Heimfahrt ein Taxi. Wie konnte sie nur so unsensibel sein? Aber kurz bevor ich nach Hause komme, setzen Schuldgefühle ein: Ist meine Weigerung, William zu sehen, etwa besser? Mum weigert sich, sich mit der schrecklichen Wahrheit zu befassen, und versucht es irgendwie zu rechtfertigen, was einen zur Raserei bringt. Und ich, ich stecke meinen Kopf in den Sand und warte darauf, dass alles wieder seinen gewohnten Gang nimmt. Ich krame mein Telefon aus meiner Lederhandtasche, wähle rasch Williams Nummer und weise den Teufel in mir zurecht, der mich bedrängt, wieder aufzulegen. Er geht beim dritten Läuten dran, im Hintergrund spielt klassische Musik.
»Hallo, hier ist Olivia.« Meine Stimme ist zittrig, das ist wirklich lächerlich. »Ich hoffe, ich rufe nicht zu spät an.«
»Nein, ganz und gar nicht. Warte einen Moment, ich drehe nur das Radio leiser.«
Es liegt eine Wärme in seinem Tonfall, die mein Herz, das wie ein gefangener Vogel um sich schlägt, wieder fast zu seinem normalen Rhythmus zu beruhigen vermag. Die Musik hat ebenfalls was Beruhigendes – es ist ein langsames und melancholisches Cellostück. Er kommt zurück ans Telefon, und ich brabble drauflos, weil ich meine Worte loswerden möchte, ohne noch mal darüber nachzudenken.
»Wenn du diese Woche noch hier bist, William, selbst morgen kannst du mit mir rechnen. Sag mir nur, wann und wo.«
»Mann, das sind ja wunderbare Neuigkeiten. Madeline und ich wohnen im Berkeley.« Er hält inne. »Hoffentlich entsetzt dich dieser Vorschlag nicht, aber ich würde dich gern morgen Abend zu einem Essen in unserer Suite einladen. Was hältst du davon?«
Als sich mir die Tragweite seines Vorschlags erschließt, gerate ich für einen Moment ins Stocken: seine Suite, seine Tochter, kein ablenkendes Stimmengewirr eines Restaurants zur Unterstützung.
»Natürlich. Wann soll ich kommen?«
»Um acht? Bis dahin sollte es mir gelungen sein, Madeline ins Bett zu bringen.« »Dann also bis dahin.«
Ich lege auf und starre aus dem Fenster des Taxis in die uns umschließende Dunkelheit. Sie scheint sich endlos auszudehnen.
Kapitel 5
Ich treffe kurz vor der vereinbarten Zeit vor dem Berkeley ein und lasse seine beeindruckende Fassade ein paar Minuten lang auf mich wirken, um mich für das zu wappnen, was mich erwartet. Das
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