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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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Gegenwart gleichermaßen greifbar sind, aber in letzter Minute unterdrücke ich ihn. »Lass mal sehen, wo ich dein Geschenk habe«, sage ich, ziehe das Päckchen heraus und drücke es ihr in die Hand.
    »Danke«, sagt sie und schiebt ihre Finger unter den Papierfalz und macht gewissenhaft den Tesafilm ab. »Oh, es ist ein Teddy«, ruft sie mit einer höflichen Anhebung im Tonfall.
    »Magst du … magst du Teddys?«
    »Ich mochte sie, als ich fünf war. Jetzt mag ich Dinosaurier lieber.«
    »Dinosaurier?«
    »Ja, wenn ich groß bin, möchte ich Paläontologin werden. Die Dinosaurier lebten vor Tausenden von Jahren. Sie waren sehr, sehr groß. Inzwischen sind sie ausgestorben, das bedeutet, dass sie alle tot sind.«
    Ihre Worte hängen in der Luft – und schon muss ich mich der nächsten Herausforderung stellen: Verzweifelt suche ich nach der passenden, einfühlsamen Erwiderung, aber nichts scheint auch nur im Entferntesten angemessen zu sein. Deshalb fällt mir ein Stein vom Herzen, als ich William zurückkommen sehe, doch seine Miene macht die Erleichterung sofort zunichte. Er ist noch bleicher als zuvor, sein Gesicht angespannt.
    »Das ist aber ein schöner Bär«, sagt er, nimmt den Teddy und lächelt starr. »Hat er auch einen Namen?« Er tut mir wirklich leid, aber da alles so gezwungen und gestellt ist, fühlt es sich nur noch falsch an.
    »Nein, noch nicht«, entgegnet Madeline, fast ohne ihn eines weiteren Blicks zu würdigen.
    »Madeline hat mir erzählt, wie sehr sie Dinosaurier liebt«, werfe ich ein, weil ich unter allen Umständen vermeiden möchte, dass ihre mangelnde Begeisterung zum Thema wird – ich spüre, dass für William Manieren eine beinahe religiöse Bedeutung haben. »Bist du schon mal im Natural History Museum gewesen?«
    »Nein«, sagt sie.
    »Das ist hier ganz in der Nähe und voll von Dinosauriern.«
    »Aber sie sind alle tot, das habe ich dir doch gesagt.«
    »Das weiß ich, ich meinte auch Modelle von Dinosauriern.« Madeline scheint das nicht sehr zu überzeugen, doch ich plappere weiter. »Vielleicht kann dein Daddy mit dir dorthin gehen, bevor du … bevor du nach Hause fährst.« Madeline würdigt meinen Vorschlag mit keiner Antwort.
    »Es ist schon spät, Daddy, bringst du mich bitte ins Bett.«
    »Aber klar!«, sagt William und lächelt mich entschuldigend an. »Bin gleich zurück.«
    »Keine Eile«, sage ich und lasse mich erleichtert auf das weiche beige Sofa fallen.
    William ist nach zehn Minuten noch immer nicht zurück, was mir genügend Zeit lässt, meine Antipathie gegen Gin zu überwinden. Es ist fraglos ein doppelter, den er mir eingeschenkt hat, und irgendwie hat die warme Benommenheit, die sich sprudelnd und blubbernd ihren Weg in mein Bewusstsein bahnt, etwas Befreiendes. Ist das der Anfang vom Alkoholismus – wenn sich die Wahrnehmung verzerrt und sich die ganzen Sorgen und Probleme plötzlich in nichts auflösen? Ich glaube, das Leben hat mir nie hart genug zugesetzt, um zu realisieren, wie verführerisch einfach das sein kann.
    Mein Blick bleibt an einer silbergerahmten Fotografie hängen, die auf dem Kaminsims steht, und ich gehe ein wenig unsicher von dem berauschenden Cocktail aus Angst und Alkohol darauf zu. Madeline steht in einer Schuluniform aus grauem Flanell, die nach teurer Privatschule schreit, zusammen mit Sally, die hinter ihr steht und ihre Hände auf ihre schmalen Schultern gelegt hat, vor einem sehr gepflegten New Yorker Stadthaus und lächelt in die Kamera. Es ist ein neues Foto: Um das zu erkennen, brauche ich nur Madeline anzuschauen, doch ich sehe es auch daran, dass Sally darauf schon kleine Fältchen um die Augen hat. Ich mustere mich im Spiegel über dem Kaminsims und vergleiche unsere Erscheinung; schon seltsam, dass unsere Erinnerung aneinander derart überholt ist, wir uns parallel, aber getrennt verändert haben. Und jetzt wird sie für immer in ihrem fünfunddreißigjährigen Selbst verharren – die Würdelosigkeit grauer Haare und Winkearme werden ihr erspart bleiben, was Sally bei allem, was ich weiß, mehr verhasst gewesen wäre und was sie heftiger bekämpft hätte als der Rest von uns – doch um dem zu entkommen, zahlte sie einen Preis, vor dem selbst sie zurückgeschreckt wäre.
    »Darf ich dir noch was nachschenken?«, fragt William, der plötzlich hinter mir im Spiegel auftaucht, worin unsere Augen sich begegnen.
    »Oh! Entschuldige, ich …«
    »Erster Tag des Trimesters, deshalb die glänzenden Schuhe und die neue

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