Seit jenem Tag
muss ich einfach meine Befangenheit überwinden, oder vielleicht ist auch das genaue Gegenteil das Richtige.
»Du magst denken, William, dass mich das nichts angeht oder dass ich genauso unangemessen reagiere, wie all diese eiskalten Snobs da drinnen, aber darf ich dich fragen, was in den vergangenen Wochen passiert ist? Jasper hat da was erwähnt …«
Er sieht mich an und wendet sich dann mit harter Miene ab und blickt hoch in den Nachthimmel. Ich zittere, es zehrt an meinen Nerven. Ich hätte niemals mitkommen dürfen. Hätte es auch nicht getan, wenn ich eine Wahl gehabt hätte. Doch da war dieses dumme Gefühl, es Sally irgendwie schuldig zu sein.
»Sie ist gestorben, Olivia. Am 18. Juni 2012 starb meine Frau. Und ich kann in diesem Augenblick nicht erkennen, was außer dieser Tatsache von Bedeutung sein sollte.«
»Ich dachte, du möchtest vielleicht darüber reden. Du sagtest, du wolltest …«
Er strahlt eine Kälte aus, die ganz anders ist als die Reserviertheit, an die ich mich schon gewöhnt habe.
»Und wenn ich das gesagt habe, meinst du nicht, dass ich es dann tun würde?«
»Okay, okay, tut mir leid.« Das darauffolgende Schweigen scheint sich endlos auszudehnen, bis ich all meinen Mut zusammennehme und den nächsten Vorstoß wage. »Es ist ja nur, weil ich Sally kannte, und zwar nicht nur als Freundin. Sie war mein Ein und Alles.«
Das Schweigen hält an, aber als ich ihn dann wieder ansehe, bemerke ich eine einzelne Träne auf seinem Gesicht. Er unternimmt keinen Versuch, sie wegzuwischen, sondern starrt einfach nur starr geradeaus.
»Dein Ein und Alles«, wiederholt er langsam.
»Ja, das war sie«, sage ich fast abwehrend.
Und zum ersten Mal seit Langem sieht er mich an, mit tieftraurigen Augen.
»Dein Ein und Alles.« Er macht eine Pause. »Glaubst du wirklich, dass so etwas möglich ist?«
»Soll ich links ranfahren?«, meldet sich der Taxifahrer und zerstört mit seiner Stimme die Intensität des Augenblicks.
»Pass auf, ich wohne gleich da unten. Komm doch auf ein Glas Wein oder eine Tasse Tee oder so mit hoch.«
Woher das kam, hätte ich nicht sagen können, aber ich hätte es als zu abrupt empfunden, einfach so auseinanderzugehen. Ich erwarte keinen Moment lang, dass er einwilligt, doch zu meiner Überraschung tut er es, und ein paar Minuten später stehen wir bereits vor meiner Wohnung. Er besteht darauf, das Taxi zu bezahlen, und folgt mir dann über die schmutzigen Treppenstufen. Zu meiner Erleichterung ist die Tür doppelt abgeschlossen und James nicht da. Ich habe im Moment auf keinen Fall das Bedürfnis zu einer formellen Vorstellung.
»Trautes Heim, Glück allein. Was kann ich dir zum Trinken bringen?«
»Hast zu zufällig einen Whisky im Haus?«
James hat welchen, und ich lasse William am Küchentisch Platz nehmen und schenke ihm reichlich ein, wohingegen ich mir einen Pfefferminztee koche. Als ich sehe, wie er das Glas in wenigen Schlucken leert, fällt mir ein, wie oft er sich sein Weinglas hat nachschenken lassen. Ich stelle die Whiskyflasche beiseite, aber er holt sie sich, um mich mit Gesten zu fragen, ob es in Ordnung ist, wenn er sich noch was einschenkt. Ich lächele zustimmend, obwohl es mir um seinetwillen lieber gewesen wäre, wenn er es nicht getan hätte.
»Ich habe dich nicht hierhergelockt, um dich in die Mangel zu nehmen. Wir müssen nicht darüber reden … wir können einfach nur was trinken.«
»Das sagst du so«, erwidert er, seine Stimme schwer vom Alkohol, »aber ich komme aus meiner Traurigkeit nur für einen Moment heraus, wenn ich mir einen Drink genehmige. Trink auch einen Schluck, Olivia.«
»Ich hasse Whisky.«
»Unsinn, dir fehlt es nur an Übung.«
Zögernd schenke ich mir ein klein wenig ein und nehme einen Schluck. Er brennt wie Feuer in meiner Kehle. Ich huste und rümpfe die Nase. »Nur Mut.« Er stößt mit mir an und kippt noch mehr in sich hinein. Ich beobachte ihn aufmerksam. Irgendwie empfinde ich seine Anwesenheit hier in meiner chaotischen Küche als zu intim. Er ist beinahe ein Fremder, und doch glaube ich Dinge über ihn zu wissen, die ich gar nicht wissen kann.
»Schieß los. Frag, was du wissen willst«, sagt er gereizt und schüttet sich noch mehr Whisky ins Glas.
Das ist nicht gut. So sollte es nicht sein. Was hatte ich erwartet? Dass ich in der Lage wäre, ihn allein mit meinem Mitgefühl zu heilen?
»Willst du nicht doch lieber eine Tasse Pfefferminztee? Du wirst dich morgen früh beschissen fühlen.«
Er lacht
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