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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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meinem Kopf, den er an seine warme, breite Brust drückt, spüre ich seinen Herzschlag durch seinen Smoking.
    »Du bist reizend. Das wollte ich dir sagen.«
    Von nervöser Energie durchpulst, blicke ich zu ihm hoch. Ich sollte mich von ihm lösen, etwas hält mich allerdings ab. Er starrt mich an.
    »Du auch«, sage ich verunsichert.
    Und dann beugt er sich herab und küsst mich, doch unsere Lippen begegnen sich nur einen kurzen Moment lang, bevor ich mich entziehe und ihn fast von mir stoße. Gerade noch rechtzeitig.
    »Ich verliere immer meine Schlüssel, weißt du«, sagt eine mir vertraute lispelnde Stimme auf der anderen Seite der Tür.
    »William …«, sage ich, aber er hat sie bereits geöffnet und geht die Treppe hinunter, vorbei an James und Charlotte, ohne sich auch nur einmal umzudrehen.
    Charlotte starrt William mit großen Augen hinterher, James sieht mich fassungslos an. »Ich gehe zu Bett«, sage ich und weigere mich, ihm in die Augen zu schauen. Und so schnell mich meine zitternden Beine tragen, verschwinde ich in meinem Zimmer.
    Ich starre mein Spiegelbild an und ziehe mit zu den Lippen erhobenen Fingern den Druck seines Kusses nach. Was habe ich gemacht? Was hat mich davon abgehalten, ihn von mir zu stoßen, ehe seine Lippen die meinen berührten? Ich fühle mich schuldig – hat da etwa ein fürchterlicher, skrupelloser Teil meiner Persönlichkeit sich unerlaubt entfernt und beschlossen, dass es Zeit ist, Rache an Sally zu nehmen? Ich nehme mein Spiegelbild noch ein wenig länger ins Visier, fast als würde ich einen Fremden ansehen.
    Und da dämmert mir schließlich, worum es wirklich geht, eine Wahrheit, die womöglich noch schlimmer ist. Es war keine Rache, es war etwas viel Einfacheres und doch auch viel komplexer. Langsam und stetig sind Gefühle durchgebrochen, wie Unkraut, dem man in einem ungepflegten Garten freie Bahn lässt. Mir wird klar, dass ich ihn vermisst, öfter an ihn gedacht habe, als ich mir selbst eingestanden habe. Kurz blitzt das Bild von Trixie auf, der argwöhnisch finstere Blick, den sie in meine Richtung abschoss, als er nicht hinsah: Der Gedanke, dass ich das Mädchen bin, für das sie mich hielt, ist schrecklich, denn auch ich hasse es – das naive, hinterhältige Ding, dumm genug zu versuchen, sich ihren Weg auf Sallys Platz zu erschleichen.
    Die Vorstellung, William könnte gesehen haben, was ich geleugnet habe, bevor ich selbst es sah, ist unerträglich. Wenn er nun denkt, ich hätte mich ihm an den Hals geworfen, ihn hierhergelockt, um ihn zu verführen? Natürlich schrieben seine guten Manieren ihm vor, mir das niemals zu sagen, aber insgeheim wird er mich für einen Aasgeier halten, der am Kadaver seiner Ehe pickt, während ich vordergründig Besorgnis um ihn und Madeline heuchele.
    Ich falle in einen fiebrigen Schlaf, unterbrochen vom Gläserklingen, das über den Flur zu mir dringt, und Charlottes lispelndem Geschnatter. Schlimmer empfinde ich das dazwischen eingestreute bedeutungsschwangere Schweigen. Um halb drei Uhr fällt die Eingangstür ins Schloss und weckt mich auf, und da fällt mir mein rot blinkendes Telefon auf. Bitte nimm meine aufrichtige Entschuldigung für mein abstoßendes Verhalten an. Alles Gute, William. Ich lese den Text dreimal und hoffe, er möge sich weniger qualvoll, weniger schrecklich anhören. Es ist ein unerträglicher Gedanke, er könnte zu Hause liegen und sich genauso schuldig fühlen wie ich. Wenn ich mich dazu in der Lage fühle, werde ich ihm etwas ähnlich Höfliches zurückschreiben und mich dann erst einmal zurückziehen. Es schmerzt. Jetzt habe ich ihn endgültig verloren, und das, nachdem ich endlich weiß, dass ich ihn nicht verlieren möchte. Aber ich habe es nicht anders verdient.

Kapitel 10

    Am nächsten Morgen quäle ich mich viel zu spät aus dem Bett, nachdem ich mindestens dreimal auf die Schlummertaste gedrückt habe. James hat das Haus bereits verlassen und ist zur Arbeit gegangen. Als ich ins Büro komme, sitzt Charlotte schon an ihrem Schreibtisch, perfekt gestylt wie jemand, der zwölf Stunden traumlosen Schlaf hinter sich hat. Sie begrüßt mich mit einem breiten Lächeln.
    »Da wartet Latte auf Ihrem Schreibtisch auf Sie«, lispelt sie laut. »Hoffentlich ist er nicht kalt geworden!«
    Mary sieht auf, und ihr Blick richtet sich sofort auf die Wanduhr und rechnet die zehn Minuten auf, die ich versäumt habe.
    »Danke«, sage ich angespannt.
    »Vielleicht können wir später zusammen Mittag essen und uns

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