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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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ist.
    »Ich bin robuster, als ich aussehe«, sage ich, und er biegt prompt auf einen Parkplatz am Meer ab.
    Ich nehme die Picknicktüte vom Rücksitz, während er im Kofferraum herumwühlt und eine abscheuliche Jacke herausholt. Sie ist schlammfarben und kurz geschnitten und wird mit Schnüren und Plastikknebeln festgezurrt. Ich schaffe es nicht, mir mein Entsetzen nicht anmerken zu lassen.
    »So schlimm? Ab in die Tonne?«
    Ich kann nicht glauben, dass Sally ihn das in der Öffentlichkeit hat tragen lassen.
    »Sie ist … ist ziemlich braun.«
    Ich sehe ihn zusammenzucken und strecke automatisch meine Hand aus, um seinen Arm zu drücken.
    »Ich weiß nicht, was mich da geritten hat. Die haben mir meine Eltern geschickt.« Und mit einem verlegenen Lächeln ergänzt er: »Ich glaube, mein Vater hat auch eine.«
    Mann, bin ich froh, dass meine Eltern mich nicht mehr mit Kleidung versorgen: Ständig habe ich sie angefleht, meinen eigenen Stil wählen zu dürfen, anstatt Jules’ verwaschene abgelegte Sachen anziehen zu müssen. Aber jetzt bin ich fünfunddreißig, und da verwundert es nicht, dass sie ihre Versuche eingestellt haben.
    »Es liegt ihnen offenbar viel daran, dass du es warm hast«, sage ich, als wir zum Strand aufbrechen.
    Wir setzen uns auf die Felsen, balancieren die Sandwiches auf den Knien und hauchen beim Ausatmen Dampfkringel in die Luft.
    »Der Hummus schmeckt köstlich«, sagt William.
    »Das ist meine Picknickgeheimwaffe.«
    Wir sind beide nicht in Eile – trotz des schneidenden Winds halten wir eine gute halbe Stunde durch und plaudern freundschaftlich über dies und das.
    »Bist du bereit?«, fragt William schließlich, und sein Gesicht ist dabei leer und distanziert.
    »Wenn du es bist.«
    »Noch zwei Minuten«, sagt er, zieht mich auf die Füße und rennt dann ans Ufer. Mit verbissener Konzentration lässt er ein paar Kieselsteine übers Wasser hüpfen und wird mit mehrfachem Aufsetzen belohnt.
    »Versuch du es.«
    »Das bringt nichts. Ich bin ein hoffnungsloser Fall«, entgegne ich. Ich werfe einen übers Wasser, der jedoch spurlos versinkt.
    »Es ist alles eine Frage des Handgelenks«, erklärt William. »Darf ich?« Er legt einen Stein in meine Hand und packt mein Handgelenk, ehe ich antworten kann. Sein Griff ist fest und sanft zugleich, und ich entspanne mich unwillkürlich. »Jetzt los.« Und aus meiner Hand, die von seiner umschlossen ist, flitzt der Stein übers Wasser und springt durch die Brandung wie ein fröhlicher Fisch. »Sag ich’s doch!« Er grinst zufrieden. Ich lächele zurück und halte seinen Blick länger fest, als ich sollte, bis mich die Realität des heutigen Tags schlagartig einholt. Ich drehe mich weg und sehe zum Auto. Er folgt meinem Blick, und wir laufen über den Kieselstrand zurück. Da die Füße bei jedem Schritt einsinken, kommt mir die Entfernung endlos vor.
    Unter einem dichten Blätterdach schlängelt und windet sich die Straße. Je weiter wir uns von daheim entfernen, von allem, was mir vertraut ist, umso größer wird meine Beklemmung, aber natürlich wäre es unsensibel, dies zu artikulieren, selbst wenn die Worte das Gefühl vertreiben könnten. So legen wir die letzten paar Kilometer schweigend und ohne Radiounterhaltung zurück.
    Als wir beim Haus ankommen, verschlägt es mir fast den Atem. Es sind nicht nur die Ausmaße – es ist groß, sehr groß, mit Nebengebäuden und Ställen in einiger Entfernung –, es ist auch die schiere Pracht. Es ist alt, vermutlich viktorianisch, jedoch hervorragend restauriert. Der graue Stein schimmert wie das Fell einer gut genährten Katze, die bleiverglasten Fenster sind auf Hochglanz poliert, und eine breite gekieste Auffahrt führt schwungvoll zu den schweren Türen. Ich staune und fühle mich wie ein Zwerg.
    »Eins nach dem anderen«, sagt William, der das Auto umrundet, um mir die Tür aufzumachen. »Als Erstes bekommst du eine Tasse Tee.«
    Wir gehen durch den dunklen Flur mit der hohen Decke in eine große, gut ausgestattete Küche, die von einem Aga-Herd beherrscht wird. Keine Notiz wartet auf William, um ihm seine Reise hierher zu erleichtern, aber er scheint es nicht zu bemerken. Er schaltet den Wasserkocher ein und öffnet den Kühlschrank.
    »Ah, Doris hat Milch dagelassen.«
    »Doris?«
    »Die Frau aus dem Dorf, die im Haushalt hilft.«
    Wie sich herausstellt, schmeckt der Tee scheußlich, weil der Beutel viel zu lang gezogen hat und zu wenig Milch im Becher ist, doch ich bringe es nicht über mich, es

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