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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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hätten. Und ich glaube keine Sekunde daran, dass sie sich davon überzeugen ließ.

Kapitel 12

    Um halb neun Uhr morgens textet William mir, um zu sagen, dass er angekommen ist, und ich klappere mit meinem schweren Picknick, das ich bis Mitternacht zusammengestellt habe (ich brauchte Ablenkung, ich konnte unmöglich schlafen), die Treppe hinunter. Ich suche die Straße nach allen Richtungen ab, kann ihn aber nicht entdecken, bis er sich aus einem winzigen gelben Auto zwängt.
    »Sag nichts«, sagt er mit einem zerknirschten Lächeln. »Versuch du mal an einem Freitag um sechs Uhr abends einen Leihwagen zu bekommen.« Offenbar hat eine Kraft in ihm sich mit Händen und Füßen gegen diese bevorstehende Aufgabe gewehrt.
    »Der ist sehr … bunt. Wo hast du dir den ausgeliehen, etwa bei Ronald McDonald?«
    Er trägt Jeans, tatsächlich Jeans, und sein Gesicht zeigt einen leichten Ansatz von Bartstoppeln, die seine oftmals verhärteten Züge zu glätten vermögen. Er hat einen grünen Pullover an, welcher seine dunklen Augen betont – und sobald mir diese auffallen, wird mir auch klar, wer diesen Pullover höchstwahrscheinlich ausgesucht hat, und ich sehe sie vor mir, wie sie meine Studentengarderobe durchwühlt und der »Wegwerf«-Stapel ungeachtet meiner Proteste immer höher wird. »Das ist die neue Olivia Berrington!«, verkündet sie und hält dabei ein braunes Polohemd in die Höhe, als wäre es Atommüll.
    »Es ist das Auto meiner Schwester – der steht für Notfälle in ihrer Garage. Wenn er zusammenbricht, vertraue ich darauf, dass du schiebst.«
    Ich klappe den Beifahrersitz nach vorne, um meine Essensvorräte und meine Siebensachen auf den Rücksitz zu stellen.
    »Schleppst du immer so viel mit dir rum?«
    »Oh«, erwidere ich verlegen, »ich habe ein Picknick mitgenommen, für den Fall, dass wir keine Zeit haben, irgendwo anzuhalten – in unserer Familie ist das bei längeren Reisen so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz.«
    »Was steht auf der Speisekarte?«
    »Ich habe ein paar hartgekochte Eier gemacht, dazu gibt es Hummus-Sandwiches und Mandarinen. Und zum Nachtisch Bioschokolade von Green & Black’s.«
    Ich stehe da und schwinge meine Tragetasche voll gekochter Eier und komme mir plötzlich vor wie die schlimmste Streberin, die die Welt kennt.
    »Danke«, sagt er. Sein Blick ist weich, und ich fühle mich gleich viel besser. Bis … bis mir wieder einfällt, weshalb wir uns treffen und was uns bevorsteht.
    William fährt schnell, aber ich fühle mich absolut sicher.
    »Ist das komisch?«, frage ich tastend. »Das Fahren, meine ich?«
    »So darf ich gar nicht denken«, sagt er und steuert dieses Miniauto mühelos und mit akkurat eingehaltenem Abstand in die Spur eines BMW . »Ich hatte erst einen dummen Unfall. Madeline kann kein neurotisches Wrack gebrauchen.«
    »Was ist passiert?«
    »Ich habe ein Kaninchen angefahren«, erzählt er lächelnd. »In der Nähe meiner Eltern. Ich konnte sehen, wie es halbtot davonhoppelte. Der Anblick war unerträglich, also nahm ich die Verfolgung auf.«
    »Wie, um die Arbeit zu Ende zu bringen? Was hast du getan?«
    »Es war rein instinktiv, ich hatte den Gedanken nicht zu Ende gedacht. Wie auch immer, die Polizei kam vorbei und sah mich auf der Grasböschung herumkriechen, während meine Wagentür offen stand. Doch nachdem ich ins Röhrchen geblasen hatte, konnte ich sie schließlich überzeugen.«
    Ich finde es großartig, dass du das getan hast, sage ich mir, dass das Wohlergehen eines einzelnen Kaninchens dir so viel bedeutet hat. Ich schalte das Radio ein, und die dort gespielte Balladenmusik unterstreicht die magische Stimmung noch: Williams Schwester hat eindeutig einen hervorragenden Geschmack. Ich will gerade einen anderen Sender suchen, aber William hält mich davon ab.
    »Nein, lass das. Das ist nämlich eines meiner Lieblingslieder.«
    Es ist Wichita Lineman, jene traurige, herzzerreißende Ode an eine ganz gewöhnliche Liebesgeschichte. Wir lauschen schweigend, auch als als Nächstes ein Song von Phil Collins gespielt wird.
    Endlich biegen wir von der M3 ab und fahren an der Küste entlang. Ich hatte keine Ahnung, wie schön und vom Wind gepeitscht es hier ist, die Strände leer, das Meer aufgewühlt. Der Himmel strahlt in jenem herbstlichen Blau, das nur wenige Wochen anhält.
    »Sollen wir eine Pause machen und picknicken, oder meinst du, es ist zu kalt?«, fragt William, der, seit wir die Autobahn verlassen haben, immer stiller geworden

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