Seit jenem Tag
unentschlossen stehen und betrachte seinen gesenkten Kopf, den leicht zurückweichenden Haaransatz. Er wirkt so verletzlich.
»Sorry«, sagt er schließlich und blickt auf, ein gebundenes Buch in den Händen. Gleich darauf dreht er mir den Umschlag zu. Es ist Das Ende einer Affäre von Graham Greene, eine wunderschöne alte Ausgabe. »Eins meiner Lieblingsbücher. Erstausgabe. Ich habe es Sally an unserem ersten Valentinstag geschenkt.« Ich wüsste nicht, wie ich darauf reagieren sollte, egal wie schön die Ausgabe ist. Er starrt auf das Frontispiz, doch ich kann die Widmung nicht lesen. »Ja, mach bitte weiter.« Er ist zerstreut. »Wir halten uns an den Oxfam-Plan.«
Ich arbeite mich durch eine Kiste voll wunderschöner Stricksachen. Es wäre sicherlich vernünftiger, einfach nur Oxfam auf die Kiste zu kritzeln und die nächste in Angriff zu nehmen, aber irgendwie käme mir das respektlos vor. Ich hole Stück für Stück heraus, stapele es und lege den Stapel am Ende wieder zurück in die Kiste. William kümmert sich inzwischen um Sallys Schmuck und hält wunderschöne Halsketten und Ohrringe in die Höhe. Ich beobachte ihn, bin mir allerdings nicht sicher, ob er meine Anwesenheit spüren oder lieber in freudloser Isolation arbeiten möchte.
»Die sind auch schön.«
Er dreht nicht mal seinen Kopf, und ich kehre eingeschüchtert zu meinen Kisten zurück. Er packt eine Handvoll Halsketten und steckt sie zurück in die Schmuckschatulle. Es kostet mich sehr viel Willenskraft, nicht durch die Scheune zu laufen, um sie zu entwirren und sorgfältig zurück in ihre Samtschachtel zu legen.
»Die wirst du doch sicherlich behalten?«
»Nein. Nein, das werde ich nicht«, sagt er kühl.
Mir stellen sich die Nackenhaare auf, und ich atme zur Beruhigung ein paar Mal tief durch. Warum benimmt er sich so? Er wirft den Schmuck in einen Karton und fängt an, Zeitschriften herauszuziehen.
»Warum sie die wohl eingepackt haben?«, meint er wütend.
Ich öffne die nächste Kiste und streife mit meinen Fingern über einen weiteren Ständer voll wunderschöner Kleider. Meine Augen gehen fast unwillkürlich nach oben: Ich hoffe, du bist froh, dass ich das hier tue. Na ja, du wirst entweder froh oder wütend sein, etwas Drittes gibt es nicht. Ich ziehe ein schwarzes Korsagensamtkleid mit einem Schwalbenschwanzsaum heraus, ein Kleid, wie sie es getragen haben muss, wenn sie ihn zu einer dieser schrecklichen Veranstaltungen begleitete. Plötzlich bin ich ihr ganz nah, wir haben eine gemeinsame Erfahrung, obwohl wir sie nie gemeinsam haben machen können. Ich halte es dicht an meinen Körper, mein Herz schlägt gegen den Stoff.
»Sie hatte so wunderbare Kleider«, sage ich mit belegter Stimme. »Hatte sie immer schon. Erinnerst du dich, dass sie das hier anhatte?«
Er schielt kurz herüber.
»Eigentlich nicht, nein.«
Das verletzt mich, weil es sie verletzt hätte. Und auf einmal scheint es mir überaus wichtig zu sein, dass das Dunkel nicht das Licht verdrängt – wir müssen uns doch daran erinnern, wie sie geglänzt hat, wenn wir den Inhalt ihres Kleiderschranks auseinandernehmen. Ich ziehe ein grünes Kleid heraus.
»An meinem neunzehnten Geburtstag, als sie die Überraschungsparty für mich ausrichtete, trug sie ein grünes Kleid. Sie sah aus wie eine Meerjungfrau.«
»Große Partys waren ihre Leidenschaft«, sagt William kurz angebunden.
»Das stimmt«, antworte ich scharf und reagiere damit auf den urteilenden Unterton in seiner Stimme. »Sie konnte aus ein paar Packungen Chips und einem Bacardi Breezer eine Party zaubern.«
»Da hast du recht«, erwidert er ungewohnt heftig. »Doch irgendwann ist der Punkt erreicht, und dann ist Schluss mit lustig.« Er richtet sich auf, sein Gesicht ist abgewandt, aber selbst seinem Profil ist anzusehen, dass er vor Wut kocht. »Entschuldige mich einen Moment«, sagt er und verlässt eiligen Schritts den Raum. Entsetzt starre ich ihm hinterher. Wieso ist er jetzt so aufgebracht, wo wir uns doch die ganze Fahrt lang so gut verstanden haben? Ich lasse meinen Blick durch den Raum und über Sallys um uns herum aufgehäuftes Leben schweifen, das Bühnenbild – natürlich konnte es nicht ohne Dramatik sein. Einerseits würde ich ihm gern nachlaufen und mich übermäßig für meine Tölpelhaftigkeit entschuldigen, aber ich fürchte, alles nur noch schlimmer zu machen. Wie wenig weiß ich doch über ihn, obwohl ich manchmal vom Gegenteil überzeugt bin.
Ich gehe zu der Kiste mit dem
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