Seitenwechsel
Roboter im Reset-Modus. Als ich mich immer noch nicht rührte, redete Hannes etwas verkrampft weiter.
»Ja, ähm, das wollte ich dir eben noch sagen. Und ich würde mich sehr freuen, wenn du mich auch heiraten willst.«
Einatmen. Ausatmen.
Eckis Mädsche
Die Anzeichen dafür, dass es zu Ende ging, wurden immer deutlicher.
Halbleere Regale, keine Begrüßung, und wenn sie auch noch so unfreundlich gewesen wäre. Stattdessen komplettes Desinteresse, ob jemand, im Speziellen ich, gerade den Raum betrat oder nicht.
Es fiel mir schwer, ihn in dieser Situation zu besuchen, aber ich hatte schließlich keine Wahl. Ich räusperte mich. Mehrmals. Keine Antwort.
»Hallo, darf ich reinkommen?«, fragte ich zögerlich.
Endlich kam es von irgendwo zurück: »Fräulein Schneider, was verschafft mir denn die Ehre?«
In erster Linie die Tatsache, dass Ecki die einzige Person war, mit der ich zur Zeit nicht über Gebühr zerstritten war oder eine komplizierte Beziehung Schrägstrich ein Verhältnis hatte. Aber das war keine allzu freundliche Antwort, deswegen behielt ich sie für mich.
»Ich war zufällig in der Gegend, und …«
»Natürlich, natürlich. Kommen Sie rein, ich bin hier hinten.«
Ja, die Anzeichen waren wirklich nicht mehr zu übersehen. Er hatte mich so herzlich empfangen wie noch nie in seinem Leben. Die meisten Menschen versuchten kurz vor ihrem Tod noch gut Wetter bei ihren Feinden zu machen.
Er war im Hinterraum des Kiosks und rührte in einem kleinen Blechtopf, der auf einer verrosteten Zweier-Kochplatte stand. Daneben eine leere Dose Linsensuppe und ein Glas mit Bockwürstchen.
»Ich mache mir gerade etwas zu essen. Wollen Sie auch etwas?«
»Nein, danke.«
»Wirklich nicht? Heute ist alles umsonst.«
Ecki sah kurz von seinem Topf auf und deutete mit einer großzügigen Geste Richtung Verkaufsraum.
Ungläubig starrte ich ihn an. Hatte er mir etwa gerade mit vier Worten meinen Kindheitstraum erfüllt? Freie Auswahl im Mini-Supermarkt? So viele Chipstüten, Süßigkeiten, Wein wie ich tragen konnte? Weiße Mäuse, saure Gurken, Haribo, Eis, Erdnuss-Flips – wirklich alles umsonst?
»Ähm, also wenn das so ist.«
Ich griff zu, bevor er sein Angebot zurückzog. Bei alten Leuten konnte man nie wissen. Als ich mich mit zwei Tüten Chips – klassisch und oriental – zurück an den wackeligen Tisch im Hinterraum setzte, wurde meine kindliche Euphorie doch wieder stark gebremst. Schließlich war der Anlass für Eckis Freundlichkeit alles andere als erfreulich.
»Wie viel Zeit bleibt Ihnen denn noch?«, fragte ich so vorsichtig, wie man diese Frage eben stellen konnte.
»Och, zwei, drei Wochen vielleicht noch.«
Mir blieben die Chips regelrecht im Hals stecken.
»O Gott, das ist ja schrecklich!«
Ecki drehte sich überrascht zu mir um.
»Jetzt keine falsche Sentimentalität vortäuschen, so oft waren Sie in letzter Zeit auch nicht mehr da.«
Na toll, jetzt machte er mir auch noch Vorwürfe. Reichte es nicht, wenn Tina und Hannes das übernahmen? Musste ich gleich von allen Seiten beschossen werden?
»Ja, ja, ich weiß«, gab ich zerknirscht zu. »Aber wenn ich das gewusst hätte, wäre ich öfter vorbeigekommen.«
Ecki sah mich über seine Brille hinweg streng an.
»Ab und zu vielleicht.«
Sein Blick bohrte sich weiter in mein schlechtes Gewissen.
»Auf jeden Fall hätte ich öfter an Sie gedacht.«
Ecki nickte zufrieden und rührte in seinem Blechnapf herum. Ich überlegte, worüber man mit einem Menschen, dessen Tod so unglaublich nah war, reden konnte. So etwas wie ›Soll es der Melaten- oder doch eher der Südfriedhof werden?‹ erschien mir ein wenig distanzlos. Die Frage, ob ich auch zur Trauerfeier eingeladen war oder ob er nur die Menschen um sich haben wollte, die ihm wirklich wichtig waren, zu egoistisch. Früher hatten wir nie Probleme damit gehabt, uns unangenehme Wahrheiten an den Kopf zu werfen, aber so ein Tod änderte eben vieles. Ich stopfte ununterbrochen Chips in mich hinein und durchscannte mein Gehirn nach unverfänglichen Themen, die Ecki interessieren könnten. Dass ich nicht zur WM durfte, schied auf jeden Fall aus, und er wollte jetzt bestimmt auch nichts von Heiratsanträgen hören, die mir entweder gar nicht oder zur falschen Zeit im falschen Kontext gestellt wurden.
Aber bevor ich mich mit mir auf ein belangloses Thema geeinigt hatte, wurde die Tür zum Kiosk aufgestoßen. Eine tiefe Frauenstimme betrat ungefragt den Verkaufsraum und regte sich im noch
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