Seitenwechsel
bestimmt nicht mehr, wie es Ihnen geht.«
»Ja, das wäre sehr nett.«
»Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?« Er lächelte mich an, und kein Zucken in seinem Gesicht verriet, dass ich mich vor ihm mal wieder hochgradig lächerlich gemacht hatte. Er schien meine Probleme wirklich ernst zu nehmen.
»Ja, Sie können mich ab heute mit Arbeit zudecken, das würde wirklich helfen.«
»Ich denke, auch das lässt sich machen.« Er sagte es so ernst, dass ich gegen meinen Willen grinsen musste. Hannes schmunzelte jetzt auch. »Obwohl ich zugeben muss, dass es das erste Mal ist, dass mich ein Mitarbeiter darum bittet.«
Wir lachten beide kurz auf. Offenbar hatte mein Ausbruch nicht nur mir, sondern auch meinem Verhältnis zu meinem Chef gutgetan. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart mit einem Mal nicht mehr so verkrampft. Bis ich den Fehler beging, mich bei ihm für die besagte Nacht zu entschuldigen.
»Wieso entschuldigen Sie sich dafür?«, fragte Hannes ernsthaft überrascht. »Haben Sie sich etwa deswegen mit Ihrem Freund gestritten?«
»Nein, nein, überhaupt nicht. Es hatte nichts damit zu tun. Nicht direkt auf jeden Fall. Indirekt natürlich schon. Aber Sie waren nicht der Auslöser … eher die Folge. Deswegen war es auch nicht richtig von mir. Es war ein Fehler. Es tut mir leid.«
Hannes lächelte mir aufmunternd zu. »Ich bin schon groß, ich kann damit umgehen.«
Ich nickte und wandte mich erleichtert zur Tür. Aber gerade, als ich dachte, ich hätte zumindest ein Problem aus der Welt geräumt, schob Hannes noch hinterher: »Falls es Sie beruhigt, es war nicht gerade ein Fehler, den ich bedaure.«
Nein, es beruhigte mich ganz und gar nicht. Es beunruhigte mich vielmehr. Denn schon wurde ich wieder rot und wünschte mir, ich hätte das Thema nie angesprochen. »Ja, ähm … gut, dann wäre das ja geklärt.«
Ich verließ fluchtartig sein Büro und hatte das ungute Gefühl, mit meinem plötzlichen Bedürfnis, mein Gewissen erleichtern zu wollen, alles nur noch schlimmer gemacht zu haben
Mutterinstinkt
Ohne Tinas Hilfe hätte ich die nächsten Wochen nicht überstanden. Sie regelte alles für mich. Sie holte die Dinge aus Tims Wohnung, die ich brauchte, und vereinbarte mit ihm, dass ich alles Übrige erst mal da lassen konnte, bis ich eine neue Wohnung gefunden hätte. Tina teilte Tim mit, wann und wie lange Kai bei mir blieb, wenn ich frei hatte, und brachte Kai sogar zu ihm zurück, weil ich noch nicht in der Lage war, ihm selbst gegenüberzutreten. Tina richtete mein Dachgeschosszimmer für mich ein und gestaltete mein Freizeitprogramm. Tina tröstete mich, wenn ich mir mal wieder sicher war, dass ich ohne Tim nie wieder glücklich werden würde. Und sie gab mir einen Tritt in den Hintern, wenn mir alles egal war und ich mich nur noch selbst bemitleidete. Jahrelanges Training hatte Tina zur perfekten Lebensberaterin für mich gemacht. Nur bei einer Sache konnte sie mir nicht helfen:
»Hallo, mein Kind, erinnerst du dich noch an mich? An die Frau, die dich nach achtundvierzig Stunden Wehen und einem schmerzhaften Kaiserschnitt zur Welt gebracht hat?« Meine Mutter. Ich hätte es schon an dem aufdringlichen Klingeln des Telefons auf meinem Schreibtisch erkennen müssen. Sie war gerissen. Sie rief extra nicht auf meinem Handy an, weil sie wusste, dass ich nicht abnahm, wenn ich ihren Namen auf dem Display sah. Beim Telefon an meinem Arbeitsplatz dagegen hatte ich keine Chance, dafür riefen dort einfach zu viele Leute an, als dass ich die Nummern so schnell auseinanderhalten konnte.
»Nein, an die Geburt im Speziellen erinnere ich mich nicht, aber ich hätte auch so gewusst, dass du am Apparat bist, Mama.«
»Gut. Ich wollte nur sichergehen. Schließlich höre ich schon seit Wochen nichts mehr von dir. Wie geht’s meinem kleinen Wonneproppen?«
»Gut, Kai geht’s gut.« Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sich nach Tim erkundigen würde und ich ihr die Wahrheit über mein desaströses Liebesleben erzählen musste. Ich suchte nach einer Ausrede, um das Gespräch abzuwürgen, als ich Hannes auf meinen Schreibtisch zukommen sah. Zum ersten Mal seit langem war ich ihm für seine Anwesenheit dankbar.
»Hör zu, Mama, uns geht’s gut. Ich muss weg, mein Chef …«
»Ja, ja, ich weiß, du bist ja ständig auf dem Sprung. Ich wollte euch drei auch nur zum Essen einladen. Es gibt etwas zu feiern. Passt es euch am Sonntagabend?«
Wie machte sie das nur? Hatte sie ein Gespür dafür, dass etwas im
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