Seitenwechsel
gedacht. Na ja, viel Spaß beim Suchen.«
Hannes war es unangenehm, dass er mich mehr oder weniger aus der Wohnung komplimentierte, aber er musste seine Mutter vom Flughafen abholen.
»Ich werde mich auf jeden Fall revanchieren«, sagte er.
»Ja klar. Dich lasse ich bestimmt nicht an meine Möbel, sollte ich doch noch irgendwann mal Zeit zum Umziehen haben.«
Wir lachten wieder. Und wieder entstand danach eine angespannte Stille. Dieses Mal gab ich Hannes einen Kuss. Auf die Wange nur. Aber trotzdem verließ ich danach fluchtartig seine Wohnung. Ich spürte seinen Blick in meinem Nacken. Aber ich drehte mich nicht mehr um.
Verdammt! Ich mochte ihn.
Alt und weise
»Happy Birthday to you. Happy Birthday to you, Happy Birthday …« »… liebe Mami …« »… Happy Birthday to you …«, schallte Tims und Kais schräger Männerchor durch meine Freisprechanlage ins Auto, und für den Bruchteil einer Sekunde glaubte ich sogar, im Hintergrund noch einen leisen Sopran mitsummen zu hören. Aber wahrscheinlich war es nur die schlechte Verbindung von Sardinien nach Köln. Kai erzählte mir, dass er ein ganz tolles Geschenk für mich gebastelt habe, nur um gleich danach zu verraten, dass es eine Kette aus Muscheln war. Mein erster Geburtstag ohne ihn, weil er erst in zwei Tagen mit Tim und Sarah aus dem Urlaub zurückkommen würde. Tim fühlte sich zu Recht schuldig, als er mir anschließend ebenfalls gratulierte und mehrfach bedauerte, dass sie keinen früheren Flug mehr bekommen hatten. Kai hätte sich schon so auf den Pflaumenkuchen gefreut. Dann merkte Tim, dass er es ja gewesen war, der mir den Kuchen zu meinem Geburtstag immer gebacken hatte, und dieser damit natürlich auch flachfiel. Schnell wechselte er das Thema. »Auf jeden Fall wollte Kai unbedingt wissen, wie viele Kerzen sechsunddreißig sind.«
Toll. Tim hangelte sich zielstrebig von einem Fettnäpfchen zum nächsten. Schön, dass er auch noch darauf herumritt, dass meine Kerzen allmählich nicht mehr auf einen Kuchen passten und er mich rechtzeitig für eine Jüngere verlassen hatte. Wenigstens konnte ich mich damit trösten, dass seine neue Freundin zwar weniger Kerzen auf dem Kuchen, aber dafür offensichtlich in ihrem Leben weitaus mehr Stücke davon in sich hineingestopft hatte.
Als Tim dann auch noch fragte, ob ich denn feiern würde, hatte ich die Nase voll. Ich protzte damit, dass Tina eine Riesenüberraschungsparty für mich in ihrem Garten plante, was eine glatte Lüge war, denn Tina machte wie jeder normale Mensch zu dieser Jahreszeit Urlaub und war zum ersten Mal zusammen mit Aygün zu seiner Familie in die Türkei gereist. Meine große Party würde darauf hinauslaufen, dass ich bis acht Uhr abends arbeitete und mich dann in Tinas stickiges Dachgeschoss zurückzog, um mir selbst bei einem Döner und einem kalten Bier zu meinem fortgeschrittenen Alter zu gratulieren.
Ich war völlig fertig, als Tim und ich unser kompliziertes Geburtstagsgespräch beendet hatten, und blieb noch eine Weile im Auto sitzen, obwohl ich den Parkplatz der Redaktion längst erreicht hatte. Aber drinnen würde mich nur der nächste Albtraum erwarten. Die üblichen Standardglückwünsche, eine Flasche Sekt, ein paar abgenutzte Witze über mein Alter, und das alles gekrönt von einem hässlichen Blumenstrauß, den die Sekretärin vom Chef in der Regel für uns aussuchte.
Ich hasste meine Geburtstage, besonders die jenseits der dreißig, und ganz besonders die, die ab jetzt zielstrebig auf die vierzig zu marschierten. Vielleicht sollte ich mich krank melden und so tun, als würde dieser Geburtstag gar nicht stattfinden. Es war ja ohnehin keiner da, mit dem ich ihn feiern konnte, also wäre es nur gerecht, wenn ein Geburtstag ohne Zeugen auch nicht zählte. Aber ich meldete mich nicht krank, sondern überstand den Spießrutenlauf zu meinem Schreibtisch, die unzähligen Küsschen auf die Wange, das Händeschütteln und den grässlichen Sekt mit einem aufgesetzten Lächeln und ein paar sarkastischen Sprüchen. Eine Viertelstunde später war es geschafft, und ich durfte endlich arbeiten. Viel hatte ich nicht zu tun. Nur die Überarbeitung eines Artikels, der die Leser auf den Geschmack der in Kürze beginnenden Bundesliga-Saison bringen sollte, und etwas Recherche zu den Nachwehen der Tour de France, die mal wieder mit Dopinggerüchten von sich reden machte. Aber dazu hatte ich mich mit Hannes noch nicht kurzschließen können. Überhaupt hatte ich das Gefühl, dass
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