SEK – ein Insiderbericht
ist daher grundsätzlich, die wichtigen von den unwichtigen Informationen zu trennen und ganz klar vorzugeben, welche Informationen als nächste benötigt werden. Da es in unserem Fall aber schon nach relativ kurzer Zeit einen Toten und einen schwer verletzten Polizeibeamten gegeben hat und der Täter durch sein unkontrolliertes, irrationales Verhalten Rätsel aufgibt, ist die Situation in der Befehlsstelle bei unserem Eintreten besonders prekär, was man an der hektischen Aktivität der dort eingesetzten Kollegen sofort erkennen kann.
Chef aller vor Ort eingesetzten SEK-Beamten ist Hans, ein Beamter des höheren Polizeivollzugsdienstes und Chef der ortsansässigen Spezialeinheiten. Er ist erst seit der Umstrukturierung der Spezialeinheiten in unserem Bundesland in dieser Funktion. Er verfügt über keine SEK-Ausbildung und ist daher auf die fachliche Beratung eines SEK-Gruppenführers angewiesen. Diese Aufgabe übernimmt Andreas, ein Gruppenführer des lokalen SEK, der neben Hans an einem Tisch der noch arg improvisiert aussehenden Befehlsstelle sitzt. Beide begrüßen uns bei unserem Eintreffen mit Handschlag, und während sich Wilhelm mit Hans unterhält, zeigt Andreas Piet und mir durch ein Fenster der Messehalle die aktuelle Situation. Zu Piets und meinem Erstaunen steht der Bus nur etwa 25 Meter von unserem Fenster entfernt und zwar parallel zu der Messehalle, in der wir uns jetzt befinden. Da die Hallenfenster durch eine außen angebrachte Beschichtung aber einen Blick nach innen nicht zulassen, können wir den Bus in aller Ruhe beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Wir erkennen, dass die Scheiben des Busses bis auf die Seitenscheibe des Fahrers und die Frontscheibe verhängt worden sind, was uns einen Blick in das Innere verwehrt. Der Streifenwagen der beiden Kollegen, die von dem Täter beschossen worden sind, steht mit geöffneten Türen und durch die Schüsse des Täters zerstörter Frontscheibe etwa zehn Meter hinter dem Bus. Alles in allem ein gespenstisches Szenario.
Während wir noch den Bus und die Umgebung genau in Augenschein nehmen, kommen Hans und Wilhelm zu uns herüber, und Andreas gibt uns weitere Einzelheiten bekannt: »In dem Bus befinden sich nach letzten Informationen über 20 Geiseln. Der Täter macht einen äußerst verwirrten und aggressiven Eindruck, eine Kontaktaufnahme mit ihm ist bisher nicht zustande gekommen. Eine Verständigung mit ihm dürfte auch äußerst schwierig sein, da er offensichtlich nur gebrochen oder gar nicht deutsch spricht, wie uns der unverletzt gebliebene Streifenpolizist berichtete. Bevor er die Fenster des Busses verhängt hat, konnten wir beobachten, wie er überall im Bus Kabel verlegt hat. Er hat auch mehrfach aus dem Bus herausgerufen: ›Sprengstoff!‹, sodass wir davon ausgehen müssen, dass er den ganzen Bus mit Sprengmitteln versehen hat. Ferner trägt er eine Weste, aus der ebenfalls Kabel herausgucken, und hält die ganze Zeit in seiner linken Hand so etwas wie einen Druckknopf, der an einem Kabel hängt, das aus seinem linken Ärmel hervorkommt. Möglicherweise eine Totmannschaltung.«
Piet pfeift leise durch die Zähne und sagt in seiner gewohnt trockenen Art: »Sonst nichts?«
Das ist alles in allem eine Situation, wie sie kaum bedrohlicher und gefährlicher sein könnte, zumal der Täter schwer einschätzbar ist und derzeit den Eindruck macht, hemmungslos gewaltbereit und vielleicht sogar geisteskrank zu sein. Vor allem wissen wir nicht im Geringsten, was er überhaupt will. Großartig.
»Weiß man schon etwas über die sonstige Bewaffnung?«, frage ich Andreas.
»Die Streifenkollegen, auf die er geschossen hat, sprechen von einer Pistole. Ob er noch mehr Waffen hat, wissen wir nicht.«
Und während wir uns noch mit sorgenvollen Gesichtern anschauen und über die äußerst prekär wirkende Lage nachdenken, sagt Piet, der gerade wieder aus dem Fenster schaut, plötzlich: »Da ist er ja.«
Und tatsächlich sehen wir den Oberkörper einer ganz in schwarz gekleideten Gestalt neben dem Fahrersitz im Mittelgang des Busses stehen. Die Person trägt eine schwarze Sturmhaube, und auch die Weste mit den Kabeln kann man ansatzweise erkennen. Wir sehen, wie der Täter sich nach allen Seiten umschaut und auch in unsere Richtung blickt, ohne uns allerdings, bedingt durch die bedampften Scheiben des Messegebäudes, erkennen zu können. Plötzlich beugt sich der Täter nach vorn und hält sich dabei mit beiden Händen am Lenkrad des Busses fest.
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