SEK – ein Insiderbericht
Geiseln kümmern. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass der Täter welche freilässt oder andere fliehen können. Hierzu braucht Jack ein Team, das gegebenenfalls Feuerschutz und mittels eines ballistischen Schutzschildes auch Deckung geben kann, wenn zum Beispiel eine geflüchtete Geisel verletzt am Boden liegt und in Sicherheit gebracht werden muss. Und er braucht ein Fahrzeug, am besten ein gepanzertes, da sich seine Leute im Schussbereich des Täters bewegen müssen. Derzeit steht aber noch kein gepanzertes Fahrzeug zur Verfügung, sodass Jack zunächst mit einem normalen Pkw vorlieb nehmen muss. Wir können im Moment nicht ahnen, wie wichtig und lebensrettend seine Aufgabe noch werden wird …
Piet und ich fahren mit unserem kleinen Planspiel fort, und auch Wilhelm, unser Chef, gesellt sich dazu. Piet nimmt den Faden wieder auf und sagt: »Ich würde vorschlagen, nach dem ersten Feuerschlag auf den Täter im Cockpit schießen die Gewehrschützen weiter Sperrfeuer. Hierdurch wird die Annäherung der Eindringkräfte abgesichert und verhindert, dass der Täter, falls er noch handlungsfähig sein sollte, zurück in den Passagierraum kommt.«
»Das verhindert aber nicht, dass der Täter den Bus in die Luft jagt, wenn er noch handlungsfähig ist«, überlege ich laut.
Piet schaut mich ungewohnt ernst an und sagt nur nachdenklich: »Nein …«
»Was schlägst du vor, wie viele Leute in den Bus reingehen sollen?«, fragt Piet mich weiter.
Seltsamerweise ist es für mich und auch für Piet völlig klar, dass ich auf jeden Fall einer derjenigen bin, die in den Bus eindringen werden, und noch viel seltsamer ist im Nachhinein, dass ich mir des Risikos zwar voll bewusst bin, ich allerdings keinen Moment am Gelingen unseres Vorhabens zweifle.
»Wir machen das zu zweit, rein in den Bus, alles ruhigstellen und dann schauen, ob dort Sprengfallen sind. Danach erst evakuieren wir, und vorher kommt niemand an den Bus heran …«
»Könnte klappen«, meint Piet, und schon wieder ist der Ansatz eines Grinsens zu erkennen. Piet ist einfach unerschütterlich. Wilhelm, der unser Gespräch aufmerksam verfolgt hat, packt mich plötzlich am Arm und zieht mich ein Stück zur Seite. »Hör mal Peter, das ist doch gar nicht notwendig, dass du da mitgehst …«
Ich unterbreche ihn, bevor er den Satz zu Ende bringen kann: »Sorry, aber du glaubt doch nicht im Ernst, dass ich jemanden von den Jungs da reinschicke und selber nicht mitmache … Das ist völlig indiskutabel!«
Ich bin tatsächlich ehrlich empört, obwohl ich ja weiß, dass Wilhelm es eigentlich nur gut mit mir meint, und ich erkenne auch sofort an seiner Reaktion, dass er mich versteht. Schließlich war er lange genug selbst in einer vergleichbaren Position beim SEK.
»Und außerdem wird das klappen, da bin ich mir sicher«, sage ich im Brustton der Überzeugtheit. Wilhelm nickt und sagt nichts weiter. Ich wende mich an Andreas, der die SEK-Befehlsstelle leitet, und frage ihn, ob es einen Sachverständigen gibt, der sich mit der Technik dieses Busses auskennt und uns vor allem sagen kann, wie sich von außen die Türen öffnen lassen. »Ist schon angefordert, müsste bald hier sein«, ist seine Antwort.
Aber bevor ich mich mit diesen Problemen beschäftige, müssen wir die Kollegen aussuchen, die diesen Einsatz zusammen bestreiten sollen. Ich komme mit Piet überein, dass er sich um die Gewehrschützen kümmern soll, die den Zugriff beginnen werden. Ich wähle mir einen Kollegen aus, der mit mir zusammen in den Bus eindringen soll – der sicherlich heikelste Teil des ganzen Zugriffsplans, so heikel, dass ich natürlich nur einen Kollegen haben will, der freiwillig mitmacht.
Ich überlege kurz und betätige mein Funkgerät: »Otto für Peter. Kommen!«
Otto meldet sich sofort: »Komm …«
»Lust auf ein Himmelfahrtskommando …?«
Es bleibt einen Moment ruhig im Funk, dann aber kommt wie selbstverständlich die Antwort: »Ja, klar.«
Auch nach den vielen Jahren, die diese Ereignisse nunmehr zurückliegen, empfinde ich immer noch Stolz und Hochachtung für meine Kollegen, die ohne zu zögern bereit waren, ihr Leben für andere in die Waagschale zu werfen. Ein deutlicheres Zeichen für diese Einstellung als diese simple Funkdurchsage gibt es meiner Ansicht nach nicht.
»Alles klar, Mann, komm bitte zur Befehlsstelle, ich erklär dir, worum es geht …«
Otto ist ein Kollege, der auch in komplexen Einsatzsituationen äußerst ruhig und besonnen
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