Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
ihre abgespeckte Einfachheit, ihre Einsicht, dass wir als Köche vorrangig die besten Zutaten respektieren und preisen sollten, anstatt durch zu bemühte Pfiffigkeit ihre Aromen zu verfälschen. Ich bewundere Oscars Wagemut, aber man muss die Regel erst beherrschen, um sie brechen zu können. Oscar – was war da letzte Nacht los gewesen? Hatte er tatsächlich mit mir geflirtet, oder hätte ich das nur gern? Dies herauszufinden ist müßig, und deshalb gebe ich es auf und vertiefe mich in ein Kochbuch von Nigel Slater, bei dem einige Seiten mit Butter aneinanderkleben. Hoffentlich würde er das als Kompliment verstehen. Und schon entwerfe ich Ideen für Menüs und überlege mir potenzielle Rezepte. Freie Tage sind für mich eine Art Widerspruch in sich.
Glücklicherweise ist es schon Zeit für den Brunch, und meine Verabredung rettet mich vor meiner Arbeitswut. Ich bin wie immer zu spät dran und düse durch den Verkehr, als wäre ich ein Motorradpolizist aus der Fernsehserie CH i P s . Marsha hat für unser Treffen die Filiale des Giraffe in Marylebone ausgesucht, eine etwas seltsame Wahl für einen Notfall, wie ich finde. Als ich darauf zueile, konzentriere ich mich zum ersten Mal richtig darauf, mir diesen Notfall auszumalen. Bin ich wirklich so leichtfertig? Marsha ist so phlegmatisch und pragmatisch, dass sie sich womöglich gar nichts dabei denken würde, mir bei einem Tropical Hippy Hippy Smoothie zu erzählen, dass sie Krebs im Endstadium hat. In Panik renne ich die Straße hoch. Ich treffe sie an einem großen Tisch im hinteren Teil bei einem Glas Wasser und der Lektüre der Auslandsnachrichten des Guardian an.
»Entschuldige meine Verspätung, tut mir leid!«, sage ich, als ich mich atemlos auf die Bank fallen lasse. Sie winkt ab, eine Geste, die verdeutlicht, dass sie nichts anderes erwartet hat. »Ich bekam nur gerade einen Anruf von meinen Eltern, mit denen ich schon seit einer Ewigkeit nicht mehr gesprochen habe, und … Egal, vergiss es. Was ist passiert? Schieß los.«
An dieser Stelle streckt Marsha ihre zugegebenermaßen ziemlich große linke Hand aus, um mir einen bescheidenen Diamantsolitär zu zeigen. »Peter hat mich gefragt«, sagt sie und klingt dabei so begeistert, als würde sie einen Strafzettel bekommen. Überschwang ist Marshas Sache nicht.
»Mann, das ist ja großartig!«, frohlocke ich, als hätte ich eine Dosis Helium inhaliert. »Ich freue mich so sehr für dich.« Und das tue ich auch, vermag aber nichts gegen das plötzliche und akut schmerzhafte Gefühl, dass das Leben doch sehr viel Ähnlichkeit mit einem Spiel hat, zu tun. »Und wie lange kennst du ihn jetzt? Mir kommt es vor, als wären erst wenige Wochen vergangen, seit ihr euch begegnet seid!«
»Nein, nein, das ist schon über ein Jahr her. Dir kommt es vermutlich so vor, weil du ihn nur ein paar Mal getroffen hast.«
Das stimmt. Sie lernte Peter (niemals Pete, soweit ich mich erinnere) bei irgendeinem transglobalen Kongress über Backenzähne kennen, als mein Verdacht gegen Dom sich langsam erhärtete. Ein paar Monate später kam ich zu ihrem Geburtstag auf einen Blitzbesuch bei ihr vorbei und wurde ihm kurz vorgestellt. So ungern ich es auch zugebe, Eindruck hat er keinen bei mir hinterlassen. Er war vierschrötig – in Gestalt und Geisteshaltung –, aber herzlich und hatte gute Manieren. Ich machte einen blöden Scherz über erwachsene Männer mit Zahnspangen, und es freute mich zu sehen, wie aufmerksam er sich meiner Freundin zuwandte. Dann traf ich ihn ein zweites Mal auf einer Dinnerparty, doch meine Verabredungen mit Marsha nach meiner Trennung von Dom fanden alle à deux statt. Im Rückblick wird mir klar, dass ich wahrscheinlich nicht hören wollte, wie gut es bei ihr lief, um kein Salz in die Wunde zu streuen.
»Das ist wirklich toll, Marsha. Mir ist gar nicht klar gewesen, dass ihr zusammenwohnt.«
»Tun wir auch noch nicht. Wir sind auf der Suche nach was Großem und Scheußlichem, das wir umbauen können. Denn wir werden hoffentlich Platz für Kinderspielzeug und so benötigen.«
»Und du empfindest es nicht als verfrüht? Du bist wirklich bereit …«
»Vertrau mir, Amber. Wenn dem nicht so wäre, hätte ich ihm schon den Laufpass gegeben. Ich finde, dass ein Jahr ein guter Zeitraum ist, um eine Person einschätzen zu können, und ich …« Ihr Gesicht bekommt plötzlich einen rosigen Schimmer, und ihr strahlendes Lächeln verrät mir, wie sehr sie ihn liebt. »Ich zweifle nicht im Geringsten daran,
Weitere Kostenlose Bücher