Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
die Trumpfkarte und unumstößliche und alleinige Wahrheit war. An diesem Abend kam er spät nach Hause, sehr spät. Aber welches Recht hatte ich, mich zu beklagen, in Anbetracht meiner Arbeitszeiten? Ich war gerade erst zum Souschef ernannt worden, und für mich gab es anscheinend nur noch Kochen oder Schlafen. Ich konnte nicht leugnen, dass ich mich seiner sicher fühlte, und baute darauf, dass unsere Reserven ausreichten, um mir ein paar Monate Gnadenfrist leisten zu können, nur bis ich mich gut eingearbeitet hatte. In diesem Job ist das immer so. Man denkt immer, dass die Durchhaltephase nur noch kurz dauert, doch dann blickt man zurück und stellt fest, dass still und heimlich ein Jahrzehnt verstrichen ist.
Inzwischen hatten sich Abgründe aufgetan, denn die meiste Zeit hatten wir uns nichts mehr zu sagen – ein Schweigen, das zu füllen ich zu müde war. Als ich eines Abends auf eine Hühnerbrust einschlug, fiel mir ein, dass unser Jahrestag war. Nicht unser Hochzeitstag, keiner von uns beiden wäre doof genug gewesen, den zu vergessen, aber der Jahrestag jener Nacht, in der wir uns den ersten Joint am Strand teilten. Jetzt reicht es, sagte ich mir, und verhalf mir wie durch ein Wunder zu einem zeitigen Feierabend. Ich wollte ihn überraschen und traf ein, als er noch mit dem Abendservice beschäftigt war (das Marquess gehört zu den Lokalen, die auch noch die Meute der Theaterbesucher mitnehmen).
Mucksmäuschenstill beobachtete ich ihn ein paar Minuten lang. Er glitt zwischen den Tischen hin und her und nutzte sein perfektes Erinnerungsvermögen, Stammgäste wie alte Freunde zu begrüßen, Drinks an Tische zu schicken, die warten mussten – er war brillant, und er war der Meine. Mit diesem Eindruck setzte ich mich an die Alkovenbar und überlegte, jemanden zu beauftragen, ihn über meine Anwesenheit zu informieren, sobald es weniger hektisch war. An der Theke saß noch eine weitere Frau allein über einem Drink, und ich fragte mich, ob womöglich auch ihr Freund Spätschicht hatte. Für die reizende Begleiterin eines Catering-Affen sah sie ein wenig zu poliert aus, und ich spekulierte müßig darüber, dass sie wohl von einem Banker versetzt worden war. Ich griff mir Julie, eine Kellnerin, die Dom von seiner letzten Stelle mitgenommen hatte, als sie vorbeikam, um eine Getränkebestellung abzuholen.
»Hey«, sagte ich und drückte ihr rasch einen Kuss auf die Wange, »kannst du meinem Mann bitte sagen, dass er Gesellschaft hat?«
»Hi!«, begrüßte sie mich, und ihre Stimme klang viel zu schrill. »Ja, ja natürlich.«
»Ich kenne doch Dom. Wenn du nichts sagst, kommt er hier erst raus, wenn der letzte Gast im Bett liegt.«
Und als ich seinen Namen sagte, sah ich, wie die Frau an der Theke ihren Kopf herumdrehte. Dies geschah unbeabsichtigt, und sie versuchte es zu korrigieren, aber zu spät. Ihr Blick streifte mich, und sie musterte ihre Konkurrenz, ehe sie sich mit verbissener Konzentration wieder ihrem Weinglas widmete. Eine eisige Stille senkte sich auf mich herab, als ich in den Ninjamodus schaltete. Ich sprang vom Stuhl und ging auf sie zu.
»Sie müssen Rachel sein«, sagte ich und streckte ihr zitternd meine Hand entgegen. »Ich bin Doms Frau.«
»Hi«, sagte sie näselnd und geziert. Sie lächelte mich selbstsicher an und zeigte dabei tapfer die Zähne. Aber wir beide wussten Bescheid.
Ich gebe mir einen leichten Klaps auf den Kopf und versuche mein dummes Gehirn daran zu erinnern, dass es damit aufhören muss, sämtliche Ereignisse, die mit meinem Exmann zu tun haben, aufzulisten.
»Natürlich werde ich zu Ralphs Einladung gehen, Mum. Ich bin doch keine Rabenschwester.«
Nun will ich aber wirklich Schluss machen, aber auch da kommt sie mir zuvor.
»Ich muss auflegen, Liebling. Dieses fette Biest, mit dem dein Vater sich die Zeit vertrieben hat, kann jetzt gegessen werden. Wir hören uns.«
»Bye, Mum«, sage ich und will plötzlich noch mehr sagen, etwas Bedeutungsvolles sagen. Doch es ist zu spät, ich höre nur noch das Freizeichen.
Zu den wenigen Dingen, die ich ausgepackt habe, als ich hierherkam, gehören meine Rezeptbücher. Sie stehen in Reih und Glied im Regal, und ich greife nach meinem muffigen alten Exemplar von Elizabeth Davids I’ll Be with You in the Squeezing of a Lemon und fühle mich sofort getröstet. Ich blättere die staubigen Seiten durch und erfreue mich an den wunderschönen dazwischen eingefügten Strichzeichnungen. Sie veranschaulichen auf perfekte Weise
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