Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
bin mir sicher, dass er nach nichts anderem als der mühelosen Raffinesse sucht, wie Lydia sie verkörpert. Jemand wie ich wäre gerade gut genug für eine schnelle Nummer in einer Vorratskammer. Allein schon der Gedanke. Dass mir der ganz normale Küchenchauvinismus in den letzten paar Jahren erspart geblieben ist, hatte ich allein der Tatsache zu verdanken, dass ein Ring an meinem Finger steckte. Woher soll ich die Tapferkeit nehmen, die Rüstung anzulegen und aufs Schlachtfeld zurückzukehren? Und welch verschrobener Teil meiner Psyche gebiert Phrasen wie »Rüstung anlegen«?
Ich versuche mich zusammenzureißen und konzentriere mich auf das Rezept für das heutige Küchenabendessen. Dafür bin ich zuständig und entschlossen, die schlabberigen, in wässrige Tomatensauce getauchten Spaghetti, die Maya uns zum Mittagessen zugemutet hat, zu übertrumpfen. Sie kocht, als wären wir allesamt im Gefängnis von Holloway eingesperrt und nicht in den vier Wänden eines der edelsten Gourmetrestaurants Londons. Ich entscheide mich für einen Schmortopf mit Fleisch, das zwar noch nicht verdorben ist, aber dessen Hautgout schon stark ausgeprägt ist. Ich spanne ein paar der Hilfsköche für das Anschmoren ein und bitte Tomasz um ein paar Zwiebeln. Er bietet mir sofort seine Hilfe an und will nichts davon wissen, als ich ihm sage, er schulde der Küche nunmehr keinen Dienst. Mike genehmigt sich eine Pause, die viel länger dauert als unsere zwanzig Minuten, und die Hilfsköche nehmen sich die Freiheit heraus, laut Musik mit dem kleinen Transistor zu hören, während sie versuchen, das sehnige Rindfleisch weich zu kochen. Einen kurzen Moment lang ist die Stimmung sogar fast fröhlich.
Die Mahlzeit wird binnen einer halben Stunde gegessen, ehe der Abendservice beginnt, und die Angestellten sitzen über den ganzen Raum verteilt und füllen sich ihre Bäuche. Tomasz hilft bei der Ausgabe, und ich schaue ihm dabei zu und frage mich, wie er sich wohl fühlen mag, angesichts der wenigen Zeit, die er hier noch zubringen wird. Vielleicht ist er ja sogar froh, dass ihm der Abgang leicht gemacht wurde, ohne selbst kündigen zu müssen, wobei vermutlich das schale Gefühl persönlichen Versagens zurückgeblieben wäre. Jedenfalls lässt seine aufgeräumte Stimmung diese Deutung zu. Er geht sogar so weit, den hassenswerten Mike zu bedienen, indem er ihm seinen Teller volllädt und ihn ein letztes Mal Chef nennt.
Das Abendgeschäft ist viel hektischer, als man dies an einem Montag vermuten würde. Allem Anschein nach haben wir einen ganzen Tisch Seelöwen zum Geburtstagsessen zu Gast – ich höre nur das Geschrei und das Klatschen und die Forderung nach Fisch –, aber Johnny versichert mir, dass es sich nur um einen Tisch betrunkener Blondinen handelt. Ihre Bestellungen kommen Schlag auf Schlag – sechzehn Vorspeisen, sechzehn Hauptgerichte –, und bald schon ist die Küche völlig überfordert. Als er die vielen eingehenden Bestellzettel sieht, reißt Oscar sich die Kochmütze vom Kopf und steuert den Gastraum an. Er zieht Lydia durch die Schwingtüren herein, sodass alle es hören können.
»Warum hast du ihnen nicht das feste Menü angeboten?«
»Verzeihung«, sagt sie frostig. »Ich denke allerdings, dass die Formulierung, nach der du suchst, lauten sollte: Danke, dass Du es mitten im Winter an einem düsteren Montag schaffst, mein Haus bis unters Dach zu füllen.«
Oscar antwortet darauf mit einem frustrierten Knurren. Ich beobachte wie unter einem voyeuristischen Zwang, wie sie sich anblicken. Wenn ein Ehemann und seine Ehefrau diese Bezeichnung wirklich verdienen, kennen sie einander besser als jeder andere. Sie mögen getrennt sein, aber ihre Intimität ist noch immer greifbar. Was soll’s?
»Danke, Lydia, aber könntest du mir vielleicht erklären, wie wir es schaffen sollen, sechzehn komplett verschiedene Gerichte noch vor ihrem nächsten Geburtstag rauszubringen?«
»Du schaffst das schon«, erwidert sie fröhlich und lässt ihre Blicke durch den Raum schweifen. Bilde ich mir das nur ein, oder richtet sie ihre Augen auf mich? »Du hast ein ergebenes Team.« Sie rauscht hinaus und lässt ihn mit vor Frust geballten Fäusten zurück. Ich gehe auf ihn zu.
»Kann ich noch was übernehmen?«, frage ich. »Wenn Michelle und ihr Platz noch mehr Zuarbeiten übernehmen, könnte ich ein paar Hauptgerichte fertig machen.«
»Sie waren Sous in Ihrer letzten Stelle, nicht wahr?« Ich nicke. »Dann stellen Sie sich an den Grill
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