Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
simultan ihre Füße für die Vorspeise vor. Er kann es nicht ausstehen, wenn Fleisch vergeudet wird; als Nächstes kommen die Leber und die Nieren dran. Er schneidet in die Schlachtkörper, als ginge es um eine Autopsie, und entfernt peinlich genau die Organe, die er dann aufschichtet. Ich habe so viel zu tun, kann aber dennoch kaum die Augen von ihm abwenden. Ich bin begeistert von seiner Brillanz, seinem angeborenen Verständnis für Nahrungsmittel, seinem unbestechlichen Blick. Ich weiß, dass ich das nicht tun sollte, doch ich kann nicht umhin, mir zu wünschen, dass dieser Blick sich auf mich richtet. Was ich dabei empfinde, ist nicht einfach nur Lust – es wäre sicherer, wenn dem so wäre. Es ist eine vielschichtige Form der Faszination; es ist Getriebenheit, durchsetzt mit Angst.
»Oi, Fischmädchen, keine Tagträumerei! Bewegen Sie Ihren Arsch nach vorne und sagen Sie Bescheid, was auf die Speisekarte muss.«
Ich denke, wir können mit Gewissheit sagen, dass die Getriebenheit einseitig ist. Wie kann er mich so salopp da hinausschicken, wo dies doch die Domäne seiner Frau ist? Als ich mich ängstlich durch die Schwingtüren schiebe, gewinnt die Schmach wieder die Oberhand. Allein aus diesem Grund muss ich schnellstens jegliches Gefühl ausmerzen. Dafür ist hier kein Raum. Doch die Götter sind mir gnädig: Statt Lydias saurer Schnute werde ich von Johnnys strahlendem Lächeln begrüßt.
»Sieh mal, wer da kommt!«, sagt er. »Na, wie läuft der erste Tag als Stellvertreter des Kommandierenden?«
Ich strecke betrübt meine Hand aus. »Abgesehen davon ziemlich gut. Bin nur froh, dass ich keine Veganerin bin.«
»Mal ganz ehrlich, wenn Sie das wären, würden Sie vermutlich nicht hier sein.« Er senkt seine Stimme. »Wie ist das denn passiert?«
Ich zucke mit den Schultern. »Wissen Sie, wenn ich Joe wäre, wäre ich vermutlich auch nicht allzu begeistert, übergangen worden zu sein.«
»Das ist aber keine Entschuldigung«, sagt Johnny. »Sie sind die beste Wahl für diesen Job, und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.«
»Sie sind so lieb.«
»Lassen Sie uns darauf anstoßen, wenn der Abendservice über die Bühne gegangen ist«, sagt er. »Dienstagabend geschlossen, die perfekte Ausrede.«
»Da freue ich mich schon jetzt drauf!«, versichere ich ihm und gehe dann die auf der Grundlage von Schwein zubereiteten Tagesangebote durch. »O, außerdem kommt Richard Douglas vorbei.«
»Ah, okay«, sagte Johnny und nimmt Haltung an.
»Und Tallulah.«
Er macht ein langes Gesicht. »Keine Lydia und Tallulah im Haus? Haben Sie jemals Teenager außer Kontrolle gesehen?«
»Sie werden das zauberhaft meistern«, entgegne ich.
»Und Sie auch«, kontert er und versucht mich abzuklatschen, was ein wenig peinlich ist.
Die Ferkel sind der Renner, von ihren Füßen bis zu ihren Schnauzen. Teller um Teller geht nach draußen. Fast sieht es so aus, als wäre zu Mittag mehr los als sonst, aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Ich gehe nach draußen, um Johnny zu informieren, dass nur noch zwei Portionen Steinbutt übrig sind.
Auf meine Frage: »Und wie läuft’s?«, deutet er verstohlen auf Oscars Tisch.
»Ein Albtraum!«, murmelt er.
Da sitzt Tallulah, deren langes, rot gesträhntes Haar in die Suppe hängt. Eine riesige, prall gefüllte Handtasche aus Vinyl belegt den Platz neben ihr, und sie trägt eine mehr als hautenge Hose. Ihre Augen wandern ständig durch den Raum – eine perfekte Imitation ihrer Mutter –, während Oscar sie über den Tisch hinweg beobachtet. Hören kann ich ihn nicht, aber dem Blick nach zu urteilen, den er auf ihre überschwappende Suppenschale richtet, verlangt er von ihr, dass sie aufisst.
Er ist nicht der Einzige. Richard Douglas hat silbernes Haar, trägt eine Brille und ist mindestens Mitte fünfzig, doch man erkennt sofort, dass er sich weigert, in Würde zu altern. Die Rückansicht seines Stuhls gibt preis, dass er eine tiefhängende Jeans trägt, die locker genug sitzt, um seine Gesäßfalte sehen zu lassen. Seine Brillengläser befinden sich in einer klobigen schwarzen Fassung wie aus der Science-Fiction-Serie Joe 90 , und über der Lehne hängt eine abgewetzte Lederjacke. Neben seinem Teller hat er lässig sein iPhone neben seiner Schlangenlederbrieftasche abgelegt. Man sollte meinen, dass ihm das eine entspannte Coolness verleiht, aber ganz im Gegenteil. Er bemüht sich angestrengt, den Mund eines schreienden Kleinkinds mit Kartoffelbrei zu füllen, das in einem
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