Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
wirft mich raus. Wieso konnte ich nur etwas so, so …«
»Amüsantes tun?«, wirft Milly ein. »Vielleicht weil es in den letzten Monaten so wenig Amüsantes gab. Vielleicht weil das Wiedersehen mit Dom alle Wunden wieder aufgerissen hat. Vielleicht weil solcher Mumpitz« – ich liebe Millys Vokabular, das wirklich unübertroffen ist – »jene Teile erreicht, an die andere Formen des Amüsements nicht hinkommen. Du genehmigst dir einmal im Leben eine Auszeit!«
»Danke, Milly«, sage ich und lächele dankbar. »Ich muss in die Falle«, ergänze ich, bemerke dabei aber, dass sie sichtlich zusammenzuckt. »Tut mir leid, mir wird keine weitere Veterinärterminologie mehr über die Lippen kommen, versprochen.«
An Millys Worten ist was Wahres dran, doch das bedeutet nicht, dass die Lustfee ungebeten herumflitzen und ihren bösen Luststaub planlos verstreuen darf. Ich mache mir eine entschieden unerotische Wärmflasche zurecht, schlüpfe in einen Schlafanzug, bei dem Ober- und Unterteil nicht zusammenpassen, und falle ins Bett. Sobald ich liege, wird mir klar, dass es die Erwähnung von Dom war, die mich hat Reißaus nehmen lassen. Der Sonntag bedeutete eine weitere Stufe des Abschieds, aber was heute geschah – das ist nicht weniger eine. Ich weiß, es war nichts weiter als Gefummel, doch Oscar ist der erste Mann, dem ich, von Dom abgesehen, seit dem Millennium-Neujahrsabend (Patisseriechef aus Rumänien – großer Fehler) persönlich nahegekommen bin. Eigentlich möchte ich mich bestätigt fühlen und meinen Triumph auskosten, aber es ist weitaus heikler und komplizierter als das.
Hat etwas noch Bedeutung und Wert, obwohl es vorbei ist, oder zählt es nur, solange es anhält? All die gemeinsamen Erfahrungen und albernen Scherze, die für keinen anderen von Bedeutung sind – werden diese einfach im Lauf der Zeit und ohne die Person, die für ihre Wahrhaftigkeit bürgen könnte, untergerührt und so lange durcheinandergemischt, bis sie spurlos verschwinden? Und dabei geht es um mehr als nur Erinnerungen. Doms Familie war auch meine Familie über lange Zeit, aber ich brachte es nicht mal fertig, die freundlichen Nachrichten zu beantworten, welche die Frau seines Bruders mir geschickt hat, und das trotz all der gemeinsam verbrachten Weihnachtsfeste. Vielleicht gibt es eine Zeit weit, weit in der Zukunft, wo es mir wieder möglich sein wird, reihum zu geselligen Abendessen in der Küche dazuzustoßen. Ich werde das knallbunte Plastikspielzeug, das ihre ungeborenen Kinder so lieben, beiseiteschieben, Kinder, die nie wissen werden, dass diese merkwürdige, unwichtige Erwachsene ihre Tante hätte sein können, wenn das Schicksal nicht für eine derart verrückte Entwicklung gesorgt hätte.
Sehen wir den Tatsachen ins Auge: Die einzige Möglichkeit, mir jemals einen Ort von so heiliger Ehrwürdigkeit zu sichern, besteht darin voranzuschreiten. Der Kuss war also etwas Gutes, selbst wenn er zu nichts führen kann. Vielleicht bin ich ja so etwas wie Dornröschen und werde aus meiner erbärmlichen Selbstbefangenheit durch einen außergewöhnlich unflätigen Prinzen erweckt. Besänftigt durch diese positive Sicht der Ereignisse schlummere ich ein, doch nur, um von Träumen heimgesucht zu werden, in denen Hummer einfach nicht sterben wollen, egal wie lange ich den Deckel draufhalte.
Beim Aufwachen fühle ich mich so gestresst wie diese armen Hummer. Wenigstens brauche ich mir keine großen Gedanken zu machen, was ich anziehen soll – sauberes Weiß und das Haar zurückgebunden, glamouröser geht es nicht in einer Küche. Außerdem muss dieser verhängnisvolle Kuss die Ausnahme bleiben. Von nun an bin ich einer von den Kerlen.
Mein Mut wird bereits in dem Moment, als ich durch die Tür trete, auf eine harte Probe gestellt. Dem Ausdruck von Mayas Gesicht nach zu urteilen könnte man meinen, ich trüge eine ins Gesicht tätowierte Swastika, und Joe drängt sich an mir vorbei, ohne überhaupt Blickkontakt aufzunehmen. Wenigstens gibt sich mein kleines Team von Hilfsköchen fröhlicher. Dass Tomasz nicht mehr da ist, macht mich traurig, aber Michelle versichert mir, wie froh sie und die anderen Hilfsköche alle sind. Bedenkt man jedoch, was Mike für ein Tyrann war, würden sie sich vermutlich sogar freuen, wenn Joseph Stalin jetzt das Kommando übernähme, nachdem er mit seinen knausrig bemessenen Beilagen in The Ivy so erfolgreich gewesen war.
Ich sehe die Küche mit neuen Augen und überlege, was ich verändern möchte.
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