Sektfrühstück um Mitternacht: Roman (German Edition)
Lydia wollte das gemeinsame Sorgerecht, aber davon wollte ich nichts wissen.«
Ich sehe mich im Raum um. Er ist vollgestellt und neutral, doch ohne die Farblosigkeit einer Junggesellenbude. Wie könnte das auch sein, mit einem riesigen Frauenakt über dem Kamin? Trotz seines Gegenstands ist das Bild geschmackvoll, eine impressionistische Zeichnung einer auf dem Rücken liegenden Frau. Auf einem Beistelltisch mit Intarsien steht ein silbergerahmtes Foto einer jüngeren Tallulah in Schuluniform, darum herum stehen bequeme Sofas in L-Form. Ich wage es, mich auf eine Lehne zu hocken, und frage mich, ob Oscar mich tatsächlich mit hier hochgebracht hat, um mir seine Katze vorzustellen. Das möchte ich ihn auch gern fragen, aber seine Stimmungsschwankungen lassen mich auf der Hut sein. Vermutlich hätte ich besser nein gesagt, als er die Treppe ansteuerte, allerdings ist dieser Zug jetzt abgefahren. Vor meinem geistigen Auge blitzt das Bild von Dom auf, Rachel ihm gegenüber, und mein Inneres rollt sich zusammen wie eine Giftschlange.
»Ist Moriarty satt?«, frage ich und gehe auf ihn zu.
»Ja.«
»Was wollten Sie mir zeigen?« Ich kann nicht leugnen, dass ich mit ihm flirte. Mir ist alles recht, was diese Lawine der Wut zurückzuhalten vermag, die mich in den Abgrund reißen wird, sobald ich nachgebe. »Und wie wär’s mit einem Wein?«
Er öffnet den Kühlschrank und schenkt mir, ohne mich zu fragen, welche Farbe ich bevorzuge, ein Glas Weißwein ein. Ich bin keine große Freundin von Weißwein, aber sobald ich einen Schluck getrunken habe, hebe ich ab. Er schmeckt wie Nektar, honigsüß und doch trocken genug, um nicht übersüß zu sein. Keinesfalls ein Sonderangebot aus dem Supermarkt.
»Wow, der ist umwerfend«, sage ich, doch Oscar hört gar nicht zu.
»Lesen Sie das«, sagt er und wirft mir eine Hochglanzbeilage zu. »Ich habe einen der Türsteher losgeschickt, mir am King’s Cross eine Abendausgabe zu holen. Ich blöder Narr.«
Knapp daneben ist auch vorbei lautet die Schlagzeile. Es ist Tristrams Kritik, aber nicht, wie wir sie kennen. Oscar Retford hat als Koch schon viele Jahre Erfahrungen gesammelt, aber als Gastronom ist er ein Neuling. Und leider merkt man das auch. Das Ghusto ist durchaus vielversprechend, aber ihm fehlt die unschlagbare Kombination von Flair und Schliff, die das Violet bei Kritikern und Gästen gleichermaßen zu einem redlichen Erfolgsunternehmen machten.
Und so geht es weiter in dem verschlagenen Tenor, dass Oscars Fähigkeiten weitaus besser zum Tragen kamen, als er noch Teil des Angus-Torrence-Imperiums war. Als ich zu dem Abschnitt komme, der sich mit der Küche befasst, versetzt mir das einen Stich. Ich schaue zu ihm hoch, um ihm mein Mitgefühl zu vermitteln, aber er fordert mich auf weiterzulesen. Das Spezialgericht dieses Abends, eine in Kräuterbutter gebratene Forelle, war nicht speziell genug, um diesen Namen zu verdienen. Abgespeckte Perfektion ist eine Sache, aber das hier schmeckte eher wie ein Bauernessen. Die Gattin hatte mit ihrem Teller Lammnierchen weitaus mehr Glück, doch auch dieses Gericht hätte man radikaler angehen können.
»Seit wann essen Bauern denn Forellen? Hat er sich im Gulag von Knightsbridge herumgetrieben?« Oscars Miene verfinstert sich, und ich fürchte schon, zu flapsig zu sein. »Ich ärgere mich für Sie«, ergänze ich und lege das fürchterliche Ding zurück, »für uns alle.«
Oscar wirft einen mörderischen Blick darauf, knüllt es dann zusammen und wirft es an die Wand. »Verdammt, ich hätte es wissen müssen«, sagt er. »Angus lässt mich nicht vom Haken, keine Chance.«
»Wieso, ist er …«
»Er kennt jeden. Seine Organisation ist wie die Mafia. Er wickelt die Leute derart um den kleinen Finger, dass Alastair Campbell daneben wie ein Chorknabe aussieht. Sie haben sogar Zugriff auf die Sunday Times . Es bestand überhaupt keine Chance, dass diese Kritik dort erscheinen konnte.«
Ist er paranoid? Wenn ich mir das Beweismittel ansehe, wohl leider nicht. Einen kurzen egoistischen Augenblick lang frage ich mich, ob Forellengate dafür verantwortlich ist, aber das schwache Lob in der Kritik reicht weiter als das. Ich suche nach den richtigen Trostworten, bin mir jedoch nur allzu bewusst, welch ein Schlag das für ihn sein muss und wie real er sich auf die Zukunft des Ghusto auswirken könnte. Während ich noch nach der richtigen Antwort suche, wird mir klar, wie verrückt es ist, dass er sich ausgerechnet an meiner Schulter
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