Sekunde der Wahrheit
Aber jetzt machte er wenigstens den Mund auf. Oder meinte sie es bloß? »Das … beruhigt mich«, sagte sie lahm.
»Clay Chalmers«, fuhr Andrew fort, »ist einer der wenigen wirklichen Gentlemen, die ich kenne.«
Sie blieb stehen, schaute ihm ins Gesicht. »Jetzt fängst du endlich zu reden an. Andrew, bitte sprich mit mir. Es ist nicht nur Neugier, glaub mir. Ich weiß, es ist schon sehr spät, aber du hattest mich von deinen Belangen ausgeschlossen. Das ist dir doch klar, oder? Ich muß dich warnen, ich lasse mich nicht gern beiseite schieben. Bitte, Andrew, red mit mir wie mit einem erwachsenen Menschen.«
Nun betrachtete Andrew sie bedächtig, als müsse er überlegen. Dann war seine Meinung gefaßt: »Ja, gern, Brigid.« – »Das freut mich«, sagte sie schlicht.
»Na schön, wollen wir beim Anfang anfangen.« Er ließ den Blick nicht von ihr. »Ich werde versuchen, nichts auszulassen. Beginnen wir mit einem Pferd namens Vincent Van …«
Als sie aufwachte, war Clay bereits aus dem Bett gestiegen, hatte sich im Bad angezogen und war in den Wohnraum gegangen. Zu diesem Zeitpunkt, einige Stunden später, hatte er auch einen Entschluß gefaßt. Wiederum dank Andrew.
»Willst du nicht mit mir duschen?« fragte Kimberley von der Schlafzimmertür her. Sie stand nackt da und wartete.
»Vielleicht, wenn wir vom Abendessen zurückkommen.«
An der Art, wie sie die Schultern hängen ließ, konnte er erkennen, in welchem Maß sie die Zurückweisung traf.
»Mach was du willst, es ist mir scheißegal. Es ist unsere letzte Nacht.« Sie verschwand, und einen Moment später hörte man das Rauschen der Brause.
Ihre letzte Nacht. Einfach so. Clay war zuerst versucht, ihr nachzugehen, hineinzuplatzen und sich forsch zu erkundigen, was zum Teufel sie damit meinte. Doch etwas hielt ihn zurück. Eine ungewisse Furcht. Ein Gespür dafür, daß er in Wirklichkeit bereits wußte, aber nicht akzeptieren wollte, was sie meinte. Er genehmigte sich einen Drink und wartete. Jetzt wußte er, wieviel Alkohol er vertragen konnte. Ein kleiner Trost, eine nicht sehr hoch zu bewertende Leistung. Dann überfiel ihn ein überwältigendes Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben. War ihm das schon einmal begegnet, hatte er diese Szene nicht schon früher in seinem Leben durchgespielt? Er hatte damals zuviel getrunken, damals vor sieben Jahren, und dann …
Sie kam in einem eng anliegenden, fließenden Abendkleid mit nackten Schultern heraus, den Kopf trotzig erhoben, und sie rauchte eine Zigarette. »Ich verhungere. Du kannst nicht zu den Jordans in deinem Aufzug.«
»Ich hatte nicht die Absicht, zu Jordans Party zu gehen«, informierte er sie vorsichtig.
»Ach, stell dich nicht an. Mix mir einen Drink, aber bitte einen starken.« Sie ging zur Balkontür und riß sie auf. »Es ist zum Ersticken hier.«
Er tat wie geheißen. »Was ich vorschlagen wollte, Kimberley, ist, daß wir weggehen.«
»Weggehen?«
»Nur wir beide. Heute abend. Irgendwohin, wo wir beide allein sein können.«
Sie stand mit dem ausgeschnittenen Rücken zu ihm. »Das Derby ist morgen …« Sie sagte es tastend. »Wir … wir sind doch wegen des Derbys gekommen, oder?«
Er brachte ihr den Drink. »Das Derby ist doch nur eines von vielen Pferderennen.«
Sie drehte sich wirbelnd um. »Jetzt klingst du wie der gute Andrew.«
»Ich zitiere Andrew. Es war sein Vorschlag.«
Sie nahm das Glas entgegen. »Ich glaube dir nicht.«
»Hotspur und Starbright können ja trotzdem laufen. Es gibt sowieso kaum etwas, was wir dazu beitragen können … und nichts, was du tun kannst, damit Starbright gewinnt. Wir können das Rennen im Fernsehen anschauen.«
»Hat … hat Andrew das auch vorgeschlagen?«
»In der Tat. Er hält es für eine gute Idee – und es wäre für dich sicherer, wenn wir heute das tun würden, was wir schon vor sieben Jahren hätten tun sollen.«
Sie schleuderte ihm den Drink ins Gesicht.
Clay rührte sich nicht. Auch Kimberley blieb reglos stehen. Ihre grünen Augen zeigten das vertraute eisige Flimmern. Dann sagte sie kalt: »Du lügst.«
»Es kam uns wie eine gute Idee vor, Andrew und mir. Du wärst bei mir und sicher, und kein Pferd brauchte vom Rennen gestrichen zu werden.«
»Andrew hasst dich.«
»Das glaube ich nicht, Kimb.«
»Und du hasst ihn.«
»Nein.«
»Lügner, Lügner, Lügner!« Sie kreischte. Dann strich sie durch den Raum wie eine Katze, suchte sich eine Zigarette und steckte sie an, wobei sie seinem Blick
Weitere Kostenlose Bücher