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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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des Mädchens – so verlassen und unglücklich – rührte sie, und sie machte die Tür weit auf. »Wir trinken gerade einen Whisky. Mögen Sie auch einen?«
    Kimberley übersah ihren Vater komplett. »Aber es ist noch vor Sonnenaufgang, oder? Nein danke, ich hatte schon ein paar. Aber wenn Sie Hasch haben?«
    Andrew schwieg.
    »Das habe ich leider nicht, Kimberley, aber Brandy.«
    Sie schüttelte den Kopf, daß das lange, blonde Haar flog. »Ein andermal vielleicht. Danke.«
    Als sie verschwunden und die Tür wieder geschlossen war, ergriff Andrew das Wort: »Sie ist fürchterlich aufgeregt, Brigid.«
    Ja, das war zu erkennen. Aber warum? Weil Andrew hier war, bei der Witwe Tyrone, vor Sonnenaufgang?
    Brigid merkte, daß sie die Szene verstimmt hatte, und sie zerriss den Scheck in kleine Fetzen. Es war ohnehin schon eine seltsame Nacht, und das hatte gerade noch gefehlt.
    Sie ging zu Andrew und nahm das Whiskyglas aus seiner Hand entgegen. Sie trank einen tiefen Schluck und schaute ihm in die Augen. Abwartend. Vorwurfsvoll?
    »Der Brand hat Starbright völlig aus dem Häuschen gebracht«, war Andrews Erklärung. »So sehr, daß er vielleicht nicht wird starten können.«
    Das war sehr bedauerlich, und das sagte sie ihm auch.
    »Ich sollte wohl zu ihr gehen«, sagte Andrew nach einer Weile nachdenklich.
    »Ja.« Das hatte das Mädchen mit allen Mitteln erreichen wollen. »Ja, Andrew.« Dennoch war Brigid ihm für die verflossene Stunde dankbar, seine Aufmerksamkeit und Hingabe. Hingabe? »Kimberley braucht Sie anscheinend.«
    Andrew leerte das Glas und setzte es ab. Dann ging er zur Tür, blieb aber noch einmal stehen.
    »Fühlen Sie sich besser, Brigid?«
    Ja, sie hatte sich besser gefühlt. Viel besser. Aber jetzt …
    »Ja, Andrew«, sagte sie und ging zu ihm hin. »Und Sie?«
    »Viel besser, was ich Ihnen zu verdanken habe.«
    Das war zuviel und vielleicht hatte der Whisky eine vorhandene Hemmung abgebaut. Oder war es ihr irisches Blut? Jedenfalls trat sie nah an ihn heran, stellte sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf die Lippen.
    Dann schaute sie ihm in die Augen. In der grauen Kühle explodierte etwas.
    Er breitete die Arme aus und drückte sie an sich und küßte sie hungrig wie ein Verdurstender, und sie erwiderte seine Küsse, die Arme um ihn geschlungen.
    Zwei oder drei Minuten später, als er gegangen war und sie auf die leere Tür starrte, kam ihr dieses wilde und leidenschaftliche Zwischenspiel noch erstaunlicher vor, und doch – das Mädchen hatte einen Fehdehandschuh hingeworfen, und sie hatte ihn aufgenommen.
    Später, auf dem Weg ins Krankenhaus mit dem gemieteten BMW, hatte sie versucht, die Gedanken daran aus dem Kopf zu verbannen. Aber jetzt im Warteraum nach dem rätselhaften Gespräch mit Clay Chalmers war sie froh, daß sie ein paar guten Erinnerungen nachhängen konnte. Möglicherweise erwies sich ihre Umarmung nur als ein akuter Ausbruch von Derbyfieber oder einer ähnlichen Narretei, aber jedenfalls würde sie sich über ihre Gefühle ins klare kommen, sobald Molly auf dem Weg der Besserung war. Sie mußte einfach wissen, auf was sie sich einließ und einlassen wollte.
    »Mrs. Tyrone, Sie können sie jetzt sehen.« Es war Schwester Grace, und aus ihren Augen und ihrer Stimme sprach Zuversicht. »Die Ärzte haben keine inneren Verletzungen gefunden und ebenso wenig Verletzungen an den Nerven, aber das Mädchen wird trotzdem einige Zeit brauchen, bis es wieder auf dem Damm ist.« Sie gingen nebeneinander den Korridor entlang. »Sie hat Blutergüsse, Quetschungen und Schürfwunden, wie nicht anders zu erwarten. Das Schlüsselbein ist gebrochen, aber nicht gesplittert, und auch der linke Oberarm hat einiges abbekommen.« Sie blieb vor der Tür stehen, um Brigid den Vortritt zu lassen. »Ihre Nichte kann ihrem Schöpfer danken, sie hat ungeheures Glück gehabt. Wenn Sie einen Fernseher für ihr Zimmer wollen, sagen Sie mir Bescheid.«
    Aber trotz der tröstlichen Worte konnte Brigid die unheilvolle Spannung der vergangenen Stunden nicht abschütteln. Sie ging mit einem dankenden Nicken in das Krankenzimmer.
    Unter der weißen Decke lag Mollys kleiner Körper ganz still, und der unförmige Gipsverband wirkte schwer und hässlich. Die verfärbten Schwellungen im Gesicht und die etwas verschorften Schnitt- und Schürfwunden sahen nicht mehr so gefährlich aus wie zuvor, und der Verband an der Stirn war auch kleiner als gestern, aber sie wirkte wie ein fremdes, verlorenes Kind, gar

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