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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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von Pferderennen und allem, was damit zusammenhing. Sie ging den Korridor hinunter, auf dem es jetzt betriebsam zuging, und setzte sich auf einen Stuhl in dem kleinen Raum, in dem sie mutterseelenallein war – wieder einmal.
    Aber sie befand sich nicht mehr so gefährlich nah am Rand der Hysterie wie während der Nacht, als sie hergekommen war. Da hatten sie das Mädchen auch geröntgt, und anschließend war es Schwester Grace gewesen die sie informiert hatte: einige Brüche, aber keine Rippe, und die Lunge war intakt. Aber da war sie zu erschöpft gewesen, um Erleichterung empfinden zu können. Sie hatten ihr einen Blick auf das Mädchen gestattet – wie still sie aussah, klein und verletzlich, nur der verbundene Kopf zwischen den weißen Leintüchern war zu sehen. Und obgleich Schwester Grace ihr versichert hatte, daß Molly unter Schmerz- und Beruhigungsmitteln stand und einige Stunden schlafen würde, war Brigid dageblieben. In dem großen Warteraum im Erdgeschoß. Der junge Mann namens Bernie hatte wiederholt angerufen, und die Schwester hatte sie jedes Mal an den Apparat geholt. Aber viel konnte sie nicht sagen, sie wußte ja selbst nichts. Und dann, nach einer Ewigkeit des Hockens, Zitterns und vor sich Hinstarrens, hatte eine vertraute Stimme ihren Namen genannt. Brigid schaute hoch und blickte in die sanften, besorgten Augen Andrew Camerons. »Als ich zur Rennbahn kam, habe ich es erfahren. Also bin ich hergekommen.«
    Deshalb ist er gekommen. Am liebsten wäre sie aufgestanden und hätte sich an seine Brust geworfen, aber dann hatte sie sich doch gebremst. Was sollte der arme Mann von einer solchen Gefühlsäußerung halten? Er hatte sie ins Hotel fahren wollen, aber sie hatte eigensinnig abgelehnt. Sie wußte, es war unvernünftig. Sie wußte, daß er und Schwester Grace recht hatten und daß sie mitten in der Nacht völlig unnütz herumsaß. Dann hatte er zu ihrer Überraschung – sie war zu benommen und bekümmert, um viel zu sagen – neben ihr auf der Couch Platz genommen. Wie lange hatte sie dagesessen? Sie hatte jedes Zeitgefühl verloren.
    Schließlich hatte Andrew sich zu ihr hingeneigt und leise und fast flehend gebeten, sie ins Hotel bringen zu dürfen. Da war ihr das Maß ihres Starrsinns klar geworden – wie Daniel ihr immer vorgehalten hatte, würde das noch einmal ihr Unglück sein –, und als sie gerade nachgeben wollte, war er zum Telefon gerufen worden.
    Bei seiner Rückkehr hatte er gesagt, es sei sein Trainer gewesen, und sie hatte sich nicht groß darüber gewundert. Wahrscheinlich ein Routinebericht über Starbright. Auf der Fahrt durch die Stadt und ihre verlassenen Straßen, die so anheimelnd und sicher wirkten, hatte er nicht weiter versucht, in sie einzudringen.
    Als sie im Lift allein nach oben fuhren, erkannte sie, daß sie sich auf geheimnisvolle Weise zum ersten Mal seit Daniels Tod geborgen, geschützt und geschätzt vorkam.
    Als er ihr die Zimmertür aufgeschlossen und sacht aufgehalten hatte, hatte sie sich im Rahmen ihm zugewandt und ihn schnell umarmt, und seine warme, stoppelige Wange lag kurz an ihrer kalten. Auf dieses Zeichen der Zuneigung war er ebenso wenig vorbereitet wie sie.
    Sie war durch die Leere des Wohnzimmers geschritten, an der geschlossenen Tür von Mollys Zimmer vorbei, und hatte sich angezogen und völlig ausgebrannt quer über das Bett geworfen. Andrew hatte sich verabschiedet.
    Jetzt im Warteraum fragte sie sich, ob ihr Schuldgefühl, das im Dunkeln ihrer Seele seit Stunden lauerte, ebenso pervers war wie die Spannung zuvor.
    »Guten Morgen, Mrs. Tyrone.«
    Sie zuckte zusammen und hob den Kopf. Sie erkannte den dunkelhaarigen jungen Mann nicht sofort, der neben ihr stand.
    »Obgleich ich nicht weiß, was an diesem Morgen gut sein soll«, fügte er mit einem schiefen Lächeln hinzu. »Wie geht's Miß Muldoon?«
    Clay Chalmers. Natürlich. Und wie er aussah …
    »In Kürze wissen wir mehr«, antwortete sie. »Sie wird eben nochmals untersucht.« Sie streckte ihm eine Hand hin, die er jedoch nicht ergriff. »Ich bin ziemlich schmutzig«, erklärte er entschuldigend. Sein Ton war so sanft und fast schüchtern wie seine Haltung. Sie schaute ihn genauer an. Sein Jackett war zerfetzt, hatte braune Flecken, die anscheinend Blut waren, an den Hosen hingen Stroh und Dreck, und seine Stiefel waren schmutzverkrustet. Er antwortete auf die unausgesprochene Frage: »Bernie ist hier. Ich weiß nicht, ob Sie das Miß Muldoon sagen wollen.«
    »Ist …

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