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Sekunde der Wahrheit

Titel: Sekunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hayes Joseph
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schmeckte sehr trocken, sehr köstlich.
    Vielleicht konnte sie Rachel Stoddard anrufen und sie zum Tee einladen – trank man heutzutage noch Tee? Die alte Dame war wahrscheinlich nach dem Verlust ihres Pferdes in einer düsteren Stimmung und keine gute Gesellschaft. Sie blieb besser hier und entspannte sich allein.
    Eigentlich hätte Andrew Cameron anrufen können, als guter Freund aus der alten Zeit, aber so gut kannten sie sich auch nicht, eigentlich nur als Tanzpartner. Nein, Owen reichte ihr völlig. Auf seine Weise – und nicht nur im Bett – fand sie mit ihm Anschluss an das Leben. Aber natürlich zugegebenermaßen im Bett besonders, und zwar so, wie sie es sich nie in den wüstesten Phantasien hätte ausmalen können.
    Sie ging langsam die Treppe hinauf. Sie würde sich umziehen, in ein Gewand, das Owen gern sah.
    Als sie an Owens Arbeitszimmer vorbeikam, warf sie einen Blick hinein und mußte lachen. Es sah noch immer chaotisch aus, und der Computer, oder wie das Ding hieß, lag auf der Erde. Plötzlich fiel ihr etwas ganz Merkwürdiges auf. Marylous kleine Schreibmaschine war verschwunden.
    Das Telefon klingelte wieder. Clay antwortete mit einer Mischung aus Vorsicht und Hoffnung, wobei sein Blick von der Frau auf dem Sofa zu dem kubistischen Gemälde hinter ihr glitt. »Zweiundzwanzig, einundzwanzig, neun, achtzehn.« Und hörte zu. Dann murmelte er: »Wenn Sie wirklich ein Hufeisen haben, das Secrétariat beim Derby trug, dann können Sie es sich irgendwo hinstecken, Sie wissen schon wo.«
    Janice Wessell saß mit untergeschlagenen Beinen in einem der ultramodernen Sessel in dem Studio, paffte wie ein Schlot und lachte. »Wenn man eine Belohnung verspricht und den Narren eine Telefonnummer nennt, fühlen sich bestimmt alle Benachteiligten und Beschränkten angesprochen.«
    Wieviel konnte sie sich zusammenreimen? Was wußte sie wirklich? Bestimmt, daß es sich bei der Sache mit Erinnerungswert um einen Vollblüter handelte. Und, durch seinen nächtlichen Besuch mißtrauisch gemacht, hatte sie zweifellos die Telefonnummer wieder erkannt, die Wyatt in seiner Sendung genannt hatte. Das naseweise Mädchen hatte sich mit einem eigenen Schlüssel Einlass in die Wohnung verschafft und erklärt: »Ich wohne jetzt hier. Hat der Graf es Ihnen nicht gesagt?« Sie hatte es sich bequem gemacht, und was sollte er tun? Er konnte sie nicht einfach aus der Wohnung werfen. Von ihrer Umhängetasche hatte sie sich nicht getrennt, und er war sich darüber im klaren, daß das Tonbandgerät eingeschaltet war.
    Der erste Schock war nun verflogen – der ohnmächtige Zorn und die Fassungslosigkeit, die seine Kräfte fast gelähmt hatten. Zweifellos steckte Owen hinter allem: Vincent Van, dem Brand, den Verletzungen des Mädchens, Bernie mit dem schmerzverzerrten Gesicht nach dem Hundekampf, Ancient Mariners Tod und dem Diebstahl Starbrights. Er kämpfte noch immer mit dem Ekel und Entsetzen und Zorn, die er nicht hochkommen lassen durfte. Bisher hatte er die Dame Janice mit kühler Überlegenheit behandelt, aber er wußte nicht, wann – und ob – der bewusste Anruf kam … Und wenn nicht?
    Wieder schellte das Telefon. Diesmal bekam er ein paar obszöne Anträge. Er knallte den Hörer auf.
    »Na«, fragte Janice Wessell, »was hatte dieser Verrückte zu bieten? Einen vergrabenen Schatz?« Clay reagierte nicht. »Oder Nixons Lügendetektor aus zweiter Hand?«
    Nixon. Ihm fiel ein, was Blake Raynolds bei der Überreichung der mit Geld gefüllten Aktentasche gesagt hatte: »Wenn dieser absurde Plan wirklich Erfolg hat, woran ich zweifle, und wenn Sie das Geld ausgehändigt haben, dann sind Sie, mein Klient Andrew Cameron und ich Mitwisser eines Verbrechens, und wir haben uns strafbar gemacht. Dieses Risiko sollten Sie nicht vergessen.« Clay war sich schuldig und schmutzig vorgekommen, und das hatte sich nicht gelegt.
    »Vielleicht sind Sie ein Mönch, Mr. Chalmers«, hänselte ihn die Reporterin und drückte die dritte Zigarette aus. »Aus einem Schweigeorden, ein Trappist vielleicht?«
    »Ich bin mir nicht darüber im klaren«, hatte Blake weiter sinniert, »ob Sie das für Kimberley tun oder um ihrem Vater zu beweisen, daß Sie unschuldig sind.« Und als Clay ihn nur wortlos angestarrt hatte und mit der Tasche in der Hand gehen wollte, hatte er hinzugefügt: »Oder beides. Wenn das Mädchen zu der Ansicht käme, Sie hätten ihrem Pferd etwas angetan, dann würde Andrew gewinnen, oder?«
    Das Telefon blieb still.

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