Sekundentod: Kriminalroman (German Edition)
von ihr gesehen hatte, Kerstin Sommer zu erkennen. Sie war also noch am Leben. Er versuchte, das Leid, das ihr ins Gesicht geschrieben war, auszublenden und sich rein auf den Täter zu konzentrieren. Mal sah man eine Hand von ihm, dann im Sekundenbruchteil seinen Arm und einen Teil seiner Hüfte. Er trug ein Hemd und Jeans, mehr konnte Cornelsen auf die Schnelle nicht erkennen. Im Hintergrund war nun deutlich die Schrankwand zu sehen. Eiche mit gelben Fensterscheiben. Auf der oberen Ebene stand ein grünes Telefon mit Wählscheibe. Die Kamera war zu hoch eingestellt, als dass man etwas vom Fußboden hätte sehen können. Ansonsten war von der Umgebung nichts zu erkennen.
»Ich lasse dich leben, wenn du mir sagst, was du alles tun würdest, um deinen Sohn vor mir zu schützen.«
Die Blicke der Polizisten gingen hin und her. Der Entführer hatte einen vollständigen Satz gesprochen, genug für einen Abgleich, sollten sie einen Verdächtigen haben. Aber die Stimme war verstellt, das war deutlich herauszuhören gewesen. Es war, als bemühte er sich, wie ein kleines Kind zu sprechen.
Der Blick der Frau wanderte etwas nach rechts hinüber. Ihr Kopf war an den Sessel fixiert, so dass ihr nur die Bewegung der Augen möglich war. Wo sah sie hin?
»Was würdest du für das Leben deines Sohnes tun?«, brüllte der Entführer sie plötzlich an.
Sie zuckte zusammen. Wieder der Blick nach rechts. Falkos Herz schlug schneller bei dem, was ihm gerade durch den Kopf ging.
»Ich würde dich töten, um ihn zu schützen«, sagte die Frau.
Falko sah sie genau an. Ihre Stimme hatte nicht schwach und verzweifelt geklungen, eher trotzig und wütend. Sie weinte nicht, flehte nicht. Vielmehr schien sie das zu sagen, was sie meinte, das er von ihr hören wollte.
»Und wie? Wie würdest du mich töten?« Die Stimme des Mannes hatte sich verändert. Sie klang jetzt fordernd, nicht mehr gereizt, sondern fast freudig. Ein Geräusch, das die Polizisten zunächst nicht zuzuordnen wussten. Dann hörten sie ein leises Stöhnen.
»Ich würde mir ein Messer besorgen und dich aufschlitzen. Ich würde dich kastrieren, dein Herz herausreißen, auf dich spucken.«
»Was noch?«, stöhnte der Entführer.
Sarah drehte sich zu Falko. »Macht er das, was ich denke?« Angewidert verzog sie das Gesicht.
Die Schwangere stieß weitere Drohungen aus, beschimpfte ihren Peiniger. Ein lautes Aufstöhnen war zu hören, und sie schwieg plötzlich. Einen Moment tat sich nichts mehr. Starr saß sie in dem Sessel, den Blick in die Kamera gerichtet.
Dann kam wieder der Arm ins Bild. Der Entführer strich ihr in fast zärtlicher Geste über den Kopf.
»Komm ein Stück weiter vor, du Mistkerl, damit wir dein Gesicht sehen können.« Timo presste die Worte wütend durch die Zähne.
Dann war der Arm aus dem Sichtfeld verschwunden. Ohne dass es von der Kamera erfasst werden konnte, wurde das Seil, mit dem die Schwangere fixiert war, gelöst, so dass sie ihren Kopf leicht nach vorn anheben konnte. »Du bist eine gute Mutter«, hörte man seine Stimme. »Ein lieber Gruß an dich, Rebecca. Bis bald, mein Schatz!« Dann nur noch Rauschen. Die Verbindung war gekappt.
Eine Zeitlang herrschte Schweigen im Raum. Zu geschockt waren sie von dem, was sich eben vor ihren Augen abgespielt hatte.
»Und? Kannst du den Computer orten?«, fragte Falko.
Jan schüttelte den Kopf. »Wie ich’s mir schon gedacht habe. Er benutzt eine Kamera, die gleichzeitig auf mehrere Computer überträgt, die wiederum die Signale an unzählige Computer weiterleiten. Darüber kommen wir nicht ran.«
»In Ordnung. Ruf Harald Kunst von der Kripo Düsseldorf an und frag ihn, an wen du die Aufzeichnung übertragen sollst. Die Kollegen dort müssen das auf jeden Fall so schnell wie möglich sehen können.«
»Mach ich.«
»Und dann gib uns die Aufnahme hier auch wieder auf den Bildschirm. Wir müssen so viele Details wie möglich herausfiltern.«
»Okay.«
»Ich gehe uns jetzt Kaffee holen«, kündigte Falko an. »Und dann treffen wir uns gleich wieder hier.«
»Dieser Kunst lässt dir ausrichten, dass er dich nachher auch noch anrufen wird. Es gibt Neuigkeiten zu einem Elektriker«, sagte Jan, als Falko mit einer Kanne Kaffee und einem Tablett voller Tassen zurückkehrte.
»Ist gut. Danke.« Er schenkte Kaffee ein und reichte die Tassen weiter. »Und jetzt sehen wir uns das so lange an, bis uns irgendetwas auffällt, um dem Kerl das Handwerk zu legen.«
Zustimmendes Gemurmel war die
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