Selbs Justiz
Sie sich verändert. Aber Ihre blauen Augen blitzen noch immer, gucken nur verschmitzter, und wo Sie den Krater im Kinn haben, da war früher schon ein Grübchen. Was haben Sie sich damals eigentlich gedacht, als Sie Dohmke und mich in die Pfanne gehauen haben? Ich habe mich gerade neulich bei meinen Erinnerungen mit dem Prozeß beschäftigt.«
»Auch mir ist der Prozeß erst unlängst wieder lebendig geworden. Deswegen bin ich auch froh, mit Ihnen reden zu können. Ich bin in San Francisco mit der Lebensgefährtin des damaligen Belastungszeugen Professor Weinstein zusammengetroffen und habe erfahren, daß seine Aussage falsch war. Jemand vom Werk und jemand von der SS haben ihn unter Druck gesetzt. Haben Sie eine Vermutung oder wissen Sie vielleicht sogar, wer bei den RCW damals ein Interesse an Dohmkes und Ihrem Verschwinden gehabt haben könnte? Wissen Sie, derart als Werkzeug unbekannter Interessen mißbraucht worden zu sein, macht mir zu schaffen.«
Auf ein Klingeln Tybergs kam der Butler, räumte ab und servierte Sherry. Tyberg saß mit gerunzelter Stirn und sah ins Leere. »Das habe ich in der Untersuchungshaft zu überlegen begonnen und bis heute keine Antwort darauf gefunden. Immer wieder habe ich an Weismüller gedacht. Das war auch der Grund, daß ich nicht gleich nach dem Krieg zu den RCW zurück mochte. Aber ich habe keinerlei Bestätigung für diesen Gedanken gefunden. Mich hat auch lange beschäftigt, wie Weinstein seine Aussage machen konnte. Daß er sich an meinem Schreibtisch zu schaffen gemacht, in der Schublade die Manuskripte gefunden, falsch gedeutet und mich angezeigt hat, hat mich schon bestürzt. Aber seine Aussage über ein Gespräch zwischen Dohmke und mir, das nie stattgefunden hat, hat mich tief getroffen. Alles wegen ein paar Vorteilen im Lager, habe ich mich gefragt. Nun höre ich, daß er gezwungen wurde. Es muß furchtbar für ihn gewesen sein. Hat seine Lebensgefährtin gewußt und gesagt, daß er mich nach dem Krieg zu kontaktieren versucht hat und ich den Kontakt verweigert habe? Ich war zu verletzt, und er war wohl zu stolz, mir im Brief von dem Druck zu schreiben, unter dem er gestanden hatte.«
»Was wurde aus Ihren Forschungen bei den RCW , Herr Tyberg?«
»Die hat Korten weitergeführt. Sie waren ohnehin das Ergebnis enger Zusammenarbeit zwischen Korten, Dohmke und mir. Wir drei hatten auch gemeinsam die Entscheidung getroffen, zunächst nur den einen Forschungsweg zu verfolgen und den anderen zurückzustellen. Das Ganze war eben unser Kind, das wir eifersüchtig gehätschelt und gehütet haben und an das wir niemand ranließen. Nicht einmal Weinstein hatten wir ins Vertrauen gezogen, obwohl er in unserem Team eine wichtige, wissenschaftlich fast gleichberechtigte Stellung hatte. Aber Sie wollten wissen, was aus den Forschungen geworden ist. Seit der Ölkrise frage ich mich manchmal, ob sie nicht plötzlich wieder hochaktuell werden. Treibstoffsynthese. Wir waren andere Wege gegangen als Bergius, Tropsch und Fischer, weil wir von Anfang an dem Kostenfaktor eine entscheidende Bedeutung zuerkannt hatten. Korten hat das von uns konzipierte Verfahren mit hohem Einsatz weiterentwickelt und zur Produktionsreife gebracht. Diese Arbeiten sind zu Recht das Fundament seines raschen Aufstiegs bei den RCW geworden, auch wenn das Verfahren nach Kriegsende nicht mehr von Bedeutung war. Korten hat es, glaube ich, trotzdem noch als das Dohmke-Korten-Tyberg-Verfahren schützen lassen.«
»Ich weiß nicht, ob Sie ermessen können, wie es mich bedrückt, daß Dohmke damals hingerichtet wurde; und entsprechend bin ich froh, daß Ihnen damals die Flucht gelang. Es ist natürlich nur Neugier, aber würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu sagen, wie Sie das geschafft haben?«
»Das ist eine längere Geschichte. Ich will sie Ihnen auch erzählen, aber … Sie bleiben doch zum Abendessen? Wie wär’s danach? Ich sage Bescheid, daß der Butler das Dinner richtet und ein Feuer im Kamin macht. Und bis dahin … Spielen Sie ein Instrument, Herr Selb?«
»Flöte, aber ich habe den ganzen Sommer und Herbst nie die nötige Muße gehabt.«
Er stand auf, holte aus der Biedermeierkommode einen Flötenkasten und ließ mich ihn öffnen. »Meinen Sie, Sie können darauf spielen?« Es war eine Buffet. Ich setzte sie zusammen und spielte ein paar Läufe. Sie hatte einen herrlich weichen und doch klaren Klang, jubelnd in der Höhe, trotz meines nach der langen Pause schlechten Ansatzes. »Sie mögen Bach? Wie
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