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Selbstmord (German Edition)

Selbstmord (German Edition)

Titel: Selbstmord (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Édouard Levé
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mehrere Hallen entlang und betratst schließlich einen großen, grauweißen Bau, der von unter der Decke entlanggeführten Sichtfenstern erhellt wurde. Die Ausstellung mit dem Titel »Neue urbane Räume« präsentierte Arbeiten von zehn Fotografen, die ganz Europa bereist hatten. Es gab kaum Hinweise darauf, wo die Aufnahmen gemacht worden waren. Die Ansichten zeigten anonyme Orte, Industriegebiete und Handelszonen in den Vororten moderner Städte, oft an der Grenze zwischen städtischem und ländlichem Raum. Nicht eine Person war zu sehen. Menschliche Gegenwart hätte man höchstens in den Autos auf den Fahrbahnen vermutet. Die großformatigen Farbabzüge reihten sich in ebenso anonymer Weise aneinander wie die Orte, die auf ihnen abgebildet waren. Es war schwierig, die einzelnen Fotografen voneinander zu unterscheiden. Alle Aufnahmen waren frontal gemacht worden, die Farben waren matt, die Abzüge mit großer Sorgfalt hergestellt. Es gelang dir nicht, eine Anziehung für diese Unorte zu empfinden, die man dir hier zeigte. Die Fotografen hatten ihr Sujet weder überhöhen noch dramatisieren wollen. Die Neutralität ihrer Handschriften erinnerte an die der abgebildeten Gebäude. Das Leben schien aus ihnen gewichen zu sein. Die Art des Umgangs war sicher berechtigt: Wer wollte sich schon an solch widrigen, endlosen, wüstenleeren Orten aufhalten? Beim Verlassen der Galerie hattest du den Eindruck, auch die Hafengegend hätte dazugepasst. Aber der Wind, die Geräusche und Stimmen, die Bewegung von Menschen und Fahrzeugen, die das Ganze belebten, machten sie bewohnbar. War es die Fotografie, die das Leben ausmerzte, indem sie es stillstellte? Es war sechs Uhr abends. Die Museen, Galerien und Sehenswürdigkeiten schlossen. Du fandst dich allein in der Stadt wieder, mit keiner anderen Beschäftigung als die Straßen abzulaufen und Gebäude, Geschäfte und Restaurants zu betrachten. Du nahmst denselben Weg wieder zurück, um die Stadt noch einmal von der anderen Seite kommend zu sehen. Du zähltest die Gebäude, an die du dich nicht erinnern konntest, sie beim Hinweg wahrgenommen zu haben. Es waren Dutzende. Du glaubtest nicht mehr an die Theorie, derzufolge unser Gedächtnis zwar alles aufzeichnet, wir aber je nach seinen Launen nur einen Teil davon wiederzugeben vermögen. Zwischen den nächsten beiden Straßen standen neun Gebäude. Nur drei davon kamen dir bekannt vor. Jedes von ihnen besaß ein auffälliges Detail. Die Toreinfahrt des einen war mit einem blaugestrichenen Löwenkopf bestückt. Im Erdgeschoss des anderen hatte sich ein Wettbüro niedergelassen, und im letzten, das erst kürzlich restauriert worden war, waren die Fenster noch mit einer grünen Plastikhaut bespannt. Die anderen Häuser besaßen keine besonderen Kennzeichen, außer zwei von ihnen. Auf dem einen verkündete ein goldenes Schild: »Charles Dreyfus, Psychoanalytiker«, das andere beherbergte ein Geschäft für Tauchzubehör. Im Schaufenster schwebten zwei Taucher in gelbschwarzen Anzügen mit Taucherbrillen und Schwimmflossen in einer Unterwasserlandschaft aus Druckminderern, Harpunen, Taschenlampen, wasserdichten Uhren, Schnorcheln, Bojen, Messern und Gewichten. Du fragtest dich, wie diese Inschrift, die Passanten auf eine Praxis für Vertraulichkeiten hinwies, und dieses schillernde, komische Schaufenster deiner Aufmerksamkeit hatten entgehen können. Hattest du zur anderen Straßenseite Richtung Garonne geschaut? Warst du in Gedanken verloren gewesen oder im Leerlauf deiner Schritte? Du suchtest eher nach Erklärungen, als an eine Gedächtnisschwäche zu glauben. Dennoch bestätigte sich bei deinem Rückweg auf derselben Route: Von dem, was du beim Hinweg gerade erst gesehen hattest, waren nichts als Bruchstücke übriggeblieben. Du setztest deinen Weg inmitten einer Kulisse fort, deren Details dir größtenteils unbekannt vorkamen. Als du in der Nähe des Grand Théâtre ankamst, erwägtest du, umzukehren und zu prüfen, ob sich bei einem dritten Durchgang deine Erinnerung verfeinern würde. Doch du hattest Hunger. Du betratst ein Restaurant mit einer alten Holztäfelung und alten Tischen mit Marmorplatten. Einige in die Jahre gekommene Stammgäste schlürften ihren Aperitif, während die Kellner die Servietten für das Abendessen falteten. »Möchten Sie essen?«, fragte ein Kellner genau in dem Moment, als du zu dem Schluss kamst, der Ort sei zu traurig, um den Abend allein hier zu verbringen. Du suchest jemanden, gabst du zur Antwort,

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