Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
und erfolgversprechende Berufe wählten, sondern sie sollten sich fragen: Welcher Weg passt zu mir? Wo liegen meine Begabungen, was mache ich besonders gut und gern? Welcher Beruf, welche Tätigkeit wird mich ein Leben lang interessieren? Und falls ich Kinder haben möchte: Mit welchem Beruf, der mir liegt, kann ich eine Familie ernähren?
Selbstverständlich ließ ich sie mit ihren Überlegungen nicht allein. Es machte mir Freude, gemeinsam mit meinen Kindern die verschiedenen beruflichen Möglichkeiten durchzuspielen, die Vor– und Nachteile zu ergründen und ihnen bei Entscheidungen zur Seite zu stehen. Auch später, während des Studiums und nach den Studienabschlüssen, beriet ich sie in Fragen des beruflichen und privaten Weges, so gut ich konnte.
Mein Sohn Rolf interessierte sich schon als Kind für alles Naturwissenschaftliche, vor allem für Biologie. Als Jugendlicher hatte er Terrarien in seinem Zimmer. Er lebte zusammen mit Geckos, Skorpionen und anderem Getier. Was im Biologieunterricht in der Schule nicht vorkam, damit beschäftigte er sich in aller Gründlichkeit zu Hause. Insofern war es folgerichtig, dass er Biologie studierte. Noch während des Studiums machte er sich selbständig, mit einem ökologisch ausgerichteten Umweltplanungs– und Umweltberatungsbüro. Das passte gut zu seiner Qualifikation, seinen Interessen und seiner Persönlichkeit. Rolf wäre es wohl schwergefallen, für einen Chef zu arbeiten.
Meine Tochter Andrea, die schon immer eine begeisterte und begabte Malerin und Zeichnerin gewesen ist, studierte zunächst Grafikdesign ; ein kreativ-künstlerisches Fach also, in dem sich Studenten für mehrere berufliche Tätigkeiten qualifizieren können. Zwischendurch ging sie nach Spanien, um dort einige Semester Freie Kunst zu studieren. Sie wurde gleich in eine Meisterklasse aufgenommen. Später unternahm sie weitere Auslandsaufenthalte, lernte mehrere Sprachen und sammelte Erfahrungen, die in ihrem heutigen Beruf nützlich sind. Andrea konzipiert und organisiert politische Konferenzen und produziert Kulturveranstaltungen. Außerdem malt sie weiterhin, hat sich als Künstlerin an diversen Ausstellungen beteiligt und auch Einzelausstellungen gezeigt.
Und ich? Geplant hatte ich vieles für mein drittes Lebensjahrzehnt, verwirklichen konnte ich aufgrund des frühen Todes meines ersten Mannes nur einen Teil davon. Eins folgte aus dem anderen, man kann nicht alles planen. Als kinderlose Witwe brauchte ich nicht mehr die Sicherheit einer Position als Richterin, auf die ich mich eingestellt hatte. So konnte ich das Freiburger Angebot annehmen und mich in die vergleichsweise unsichere Position einer Rechtsanwältin begeben.
Entgegen meinen ursprünglichen Befürchtungen zeigte Frau Dr. Plum – die ich ja für einen recht strengen Menschen gehalten hatte – Herzlichkeit und Menschlichkeit. Sie tröstete mich in meiner Verzweiflung über den Verlust meines Mannes. Sie war großzügig und hielt ihre Hand über mich, wenn ich das eine oder andere nicht konnte oder wusste, was bei allen jungen Juristen der Fall ist. Einerseits blieb sie anspruchsvoll, andererseits hatte sie keine unerfüllbaren Erwartungen. Ich stürzte mich mit voller Kraft in meine Aufgaben. Zwei andere junge Juristinnen, die zu meiner Freiburger Zeit in der Kanzlei anfingen, suchten alsbald das Weite. Den täglichen Anforderungen bezüglich Umfang und Qualität der Arbeit fühlten sie sich nicht gewachsen. Gut möglich, dass es ihnen wichtig war, neben der Arbeit ein erfülltes Privatleben zu führen. Ich hingegen war froh, dass ich eine so anspruchsvolle Arbeit hatte, die mich von meiner privaten Traurigkeit zumindest teilweise ablenkte.
Einmal wurde anlässlich des Geburtstags von Frau Plum eine kleine Bürofeier vorbereitet. »Liebe Kollegen und Kolleginnen, lassen Sie uns einen Chor gründen«, schlug ich vor, woraufhin das Kollegium mich entgeistert ansah. »Das meinen Sie nicht ernst«, »Ich kann nicht singen«, »Es wird furchtbar klingen« und ähnliche Reaktionen bekam ich zu hören. Woraufhin ich stoisch erklärte: »Jeder kann singen.« Das ist schon immer mein Credo gewesen. Manche Menschen haben ihre Singstimme noch nicht gefunden, andere brauchen etwas Übung, um den Ton zu treffen. Aber jeder kann das Singen lernen. Also bildete ich einen Bürochor mit allen Männern und allen Frauen, allen Juristen und Bürodamen. Wir suchten ein paar schöne, einfache Lieder aus, und bald schon trällerten alle
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