Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
sie gut selbst erledigen. Und wenn ich Ratschläge wünschte, fragte ich.
Ein Richterkollege verhielt sich mir gegenüber besonders aufmerksam, was ich zuerst nicht bemerkte. Wir arbeiteten zu sammen in der Berufungskammer des Landgerichts Hamburg, in der ich nach meiner Rückkehr aus Freiburg angefangen hatte. Was das Private anging, war ich sehr mit mir selbst beschäftigt in jener Zeit. Mein innerer Kampf, der darin bestand, mit dem Verlust meines ersten Mannes fertigzuwerden, hielt an. Außerdem dachte ich weiterhin viel an Freiburg und fragte mich, ob ich beruflich die richtige Entscheidung getroffen hatte. Es gab viele Ambivalenzen in mir. Im Übrigen ist die Justiz beileibe kein Ort, an dem sich romantische Gefühle aufdrängen. Dennoch begann ich nach einigen Monaten, mit einem gewissen Interesse auf die Aufmerksamkeit des Richterkollegen zu antworten.
Horst Peschel war sechzehn Jahre älter als ich, ehemaliger Kriegsteilnehmer, ein lebenserfahrener und vom Leben gezeichneter Mann. Da ich mit der leichten, fröhlichen Art junger Leute nichts mehr anfangen konnte, mich in Gesellschaft Gleichaltriger nicht mehr heimisch fühlte, gefiel mir die Ernsthaftigkeit jenes älteren Mannes. Ich hatte einen schweren Schicksalsschlag erlebt, er hatte viel Schlimmes gesehen, das verband uns. Je näher wir ins Gespräch kamen, desto mehr positive Seiten entdeckte ich an Horst Peschel: Er hatte eine sehr schnelle Auffassungsgabe und war rhetorisch talentiert, konnte elegant und präzise formulieren, ich hörte ihm immer gern zu, wenn er erzählte. Manchmal blitzte ein versteckter, intelligenter Humor dabei hervor, den ich sehr mochte. Besonders gutaussehend war er nicht, aber das Aussehen hat mich bei Männern schon immer wenig interessiert. Ich überragte ihn um zwei oder drei Zentimeter, das störte mich nicht, zumal ich mit 1,78 Metern eine für meine Generation außergewöhnlich hochgewachsene Frau war. Gern leiden mochte ich Horsts große, tiefblaue Augen.
Wie ich hatte auch er bereits eine Ehe geführt, aber keine Kinder bekommen. Wie ich wünschte er sich mehrere Kinder. Sein zweiter Lebenstraum war, ein eigenes Haus zu bauen. Auch mir war ein eigenes Zuhause sehr wichtig, außerdem kannte ich mich mit dem Bauen aus. In Freiburg hatte ich mehrfach mit Baurecht zu tun gehabt, in Theorie und Praxis, ich war über Baustellen geturnt, das Thema schreckte mich nicht ab.
Wir heirateten Ende 1961. Direkt im Anschluss erwarben wir ein Grundstück in einer schleswig-holsteinischen Kleinstadt, etwa zwanzig Kilometer nördlich von Hamburg. Wir bauten uns ein Einfamilienhaus mit einem schönen Garten.
Unsere Partnerschaft sorgte im Landgericht für Gerede. »Jetzt kommen Frauen in die Justiz, und als Erstes heiraten sie die Männer aus derselben Kammer!« – »Ja, ja, genau so haben wir es uns vorgestellt.« – »War nicht anders zu erwarten.« So und ähnlich lauteten die Kommentare. Es gab einen richtigen Aufstand. Der Landgerichtspräsident bestellte uns zu sich, ließ sich von unseren Heiratsplänen berichten und erteilte uns gnädig seinen Segen. Selbstverständlich konnten wir als Ehepaar nicht mehr an derselben Kammer arbeiten. Ich wurde in die Strafjustiz versetzt, in der ich nie arbeiten wollte. Es kostete mich Kraft und Überredungskunst, schnellstmöglich wieder an eine Zivilkammer zu kommen.
Als 1963 unser Sohn Rolf geboren wurde, war mein Mann selig. Auch für mich ging mit der Geburt ein wunderschöner Traum in Erfüllung, aber für Horst war es noch etwas anderes. Er war Jahrgang 1917, er wünschte sich einen Stammhalter, und nun bekam er ihn gleich mit dem Erstgeborenen. Auf seinen Wunsch nannten wir ihn Rolf Johannes, nach Rolf und Hans, den zwei älteren Brüdern meines Mannes. Beide waren im Krieg gefallen. Horst war sein Leben lang voller Trauer um seine Brüder, und er trug schwer an der Last, als einziges Kind seiner Eltern lebend aus dem Krieg zurückgekehrt zu sein.
Bei der Entbindung erlitt ich einen mehrfachen Beckenbruch, der mich für viele Monate außer Gefecht setzte. Wäre alles gutgegangen, hätte ich direkt nach Ablauf der Mutterschutzfrist von acht Wochen wieder zu arbeiten begonnen. Da waren mein Mann und ich uns einig. Er hatte in manchen Bereichen etwas altmodische Ansichten, nicht aber in Bezug auf meine Rolle in Beruf und Familie. Als Richterin hatte er mich kennengelernt, in die Richterin hatte er sich verliebt, mit einer Richterin wollte er die Ehe führen – nicht mit einer
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