Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
fröhlich drauflos. An ihrem Geburtstag brachten wir Frau Dr. Plum zwei oder drei Ständchen. Sie war buchstäblich zu Tränen gerührt, woraus sich vieles schließen lässt – unter anderem, dass sie emotional erreichbar und bereit war, Emotionen zu zeigen ; außerdem, dass sie Verständnis hatte für solchen Unsinn wie einen Bürochor. Sie hätte auch sagen können: »Was soll das? Verplempern Sie nicht Ihre Zeit!« Aber nein, sie hat die Aktion verstanden, begrüßt und genossen.
Nach und nach ließen alle drei Chefinnen mich als ihre amtliche Stellvertreterin bestellen. Waren Frau Plum, Frau Fettweis oder Frau Huber-Simons im Urlaub oder krank, sprang ich nicht nur intern, sondern auch offiziell für sie ein. Als amtlich bestellte Vertreterin war ich bei der Anwaltskammer registriert. Nachdem ich ein gutes halbes Jahr in der Kanzlei gearbeitet hatte, machte Frau Dr. Plum Urlaub, gleichzeitig ging Frau Dr. Huber-Simons auf Dienstreise. Somit musste ich als doppelte Stellvertreterin agieren, zusätzlich zu meiner üblichen Arbeit – das bedeutete tägliche Doppelschichten, mindestens. Dann fuhr Frau Fettweis bei Glatteis gegen einen Baum und fiel ebenfalls aus. Nun war ich also für alle Damen gleichzeitig Stellvertreterin. Ich dachte, das schaffst du niemals. Mir erschien es, als wären ungefähr eine Million Dinge zu bewegen. Hätte ich nur einen Fehler begangen, hätte das grauenhafte Folgen haben können. Aber es ging alles gut. Die Chefinnen hatten Vertrauen in mich gesetzt, ich enttäuschte sie nicht und schloss die Phase erschöpft, aber zufrieden ab.
Schon kurz nach meinem Einstieg als Assessorin in der Freiburger Kanzlei erhielt ich Post von Herrn Dantzer aus Hamburg – dem Richter am Oberlandesgericht, der mich als Referendarin ausgebildet hatte und mich so gern als Richterin in Hamburg gesehen hätte. Als ich nach Freiburg ging, hatte er Verständnis gezeigt. »Es ist richtig, dass Sie der Stadt, in der Ihr Mann gestorben ist, erst einmal den Rücken kehren. Sie brauchen eine andere Umgebung, um zu sich zu kommen«, sagte er. »Aber ich bleibe der Ansicht: Sie gehören in die Justiz ; deshalb werden Sie wieder von mir hören. Ich erwarte, dass Sie nach Hamburg zurückkehren und Richterin werden.«
Dann schrieb er mir nach Freiburg: »Es ist eine Stelle für Sie freigehalten.«
»Sehr geehrter Herr Dantzer, vielen Dank, ich habe Ihren Brief bekommen, aber ich weiß so gut wie Sie, dass die Justiz noch nie Stellen freigehalten hat«, schrieb ich frech zurück. Schon damals war der Andrang größer als die Anzahl der freien Stellen.
Darauf Herr Dantzer in seinem nächsten Brief: »Es stimmt, was Sie schreiben ; dennoch ist für Sie eine Stelle freigehalten worden.«
»Wir beide wissen, dass man bei der Justiz nicht als Richterin anfängt, sondern erst zur Staatsanwaltschaft muss«, entgegnete ich, wiederum schriftlich. »Das möchte ich nicht, und das werde ich nicht.« Der Beruf des Staatsanwalts war damals eher unbeliebt, deshalb war es üblich, dass man vor dem Richteramt zur Staatsanwaltschaft musste.
»Ich kenne Sie doch. Ich weiß, dass Sie nicht zur Staatsanwaltschaft wollen, und ich verspreche Ihnen: Sie müssen nicht. Dafür habe ich gesorgt.«
Es wurde immer enger für mich.
»Sicher muss ich als Richterin zuerst zur Strafjustiz«, schrieb ich. »Das ist nichts für mich. Ich bin Zivilistin.« Zwischen Menschen auszugleichen, Konflikte zu schlichten und so für Gerechtigkeit zu sorgen, das ist mein Interesse – also die Ziviljustiz. Menschen hinter Gitter zu bringen wäre nicht mein Beruf gewesen.
Richter Dantzer: »Auch dies ist geregelt. Sie kommen gleich zur Ziviljustiz.«
Da fragte ich mich: Wie kann ich jetzt noch nein sagen?
Meine drei Freiburger Chefinnen machten mir alles noch schwerer, indem sie mir eine große Ehre erwiesen: Sie stellten mir die Partnerschaft in Aussicht, was bedeutete, eines Tages würde ich in ihrer Kanzlei Juniorpartnerin sein, also ebenfalls »Chefin«. Grundsätzlich geschah es damals selten, dass renommierte Kanzleien einer jungen Anwältin solch ein Angebot machten. In der Kanzlei Plum war es noch nie passiert.
Ich fühlte mich hin– und hergerissen, auch weil ich den Anwaltsberuf sehr mochte. Ich mag ihn heute noch, nicht ohne Grund arbeite ich seit 2002 wieder als Rechtsanwältin. Aber damals musste ich mich entscheiden, und so kehrte ich nach Hamburg zurück. Dazu bewog mich nicht nur der rote Teppich, den Richter Dantzer mir ausgerollt
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