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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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du deinen Beruf sehr magst, es ist ein guter, wichtiger Beruf. Aber wenn aus euren Kindern etwas werden soll, musst du zu Hause bleiben. Meinst du nicht auch, Horst?« Sicher hatte unser Freund erwartet, dass Horst fröhlich einschlagen würde, bei einem Mann des Jahrgangs 1917 wäre das nichts Ungewöhnliches gewesen. Aber Horst antwortete: »Nein, wenn Lore arbeiten möchte, ist das richtig. Sie muss es selbst wissen.«
    »Und ich weiß es ganz genau!«, erklärte ich. »Die Ansicht, eine Frau müsse zu Hause bleiben, stammt ungefähr aus dem Mittelalter.«
    »Meine Frau hat auch einen Beruf gelernt«, sagte der Freund. »Aber sie bleibt zu Hause, damit sie sich um die Kinder kümmern kann. Denn nur so wird etwas aus den Kindern.«
    Ich mochte nicht weiterdiskutieren, es führte zu nichts. Aber ich war enttäuscht von dem Freund. Eigentlich war er so ein netter, kluger Mensch. Über Familienmodelle redete ich nie wieder mit ihm. Was das Thema anging, sprach ich ihm die Kompetenz ab.
    Einige Jahre später ging seine Ehe in die Brüche, die Frau zog aus, wir vermittelten dem Freund eine unserer ehemaligen Praktikantinnen, um seinen Haushalt und die Kinder zu versorgen. Nach einiger Zeit heirateten die Kinderpflegerin und der Arzt.

    Den ersten Herzinfarkt hatte mein Mann 1966. Ein befreundeter Arzt erklärte mir, dass mit Herzinfarkten oft eine Wesensveränderung einhergeht. So kam es auch bei Horst, langsam und schleichend. Seine Herzprobleme nahmen zu, immer öfter litt er unter Angina Pectoris, das bedeutet Atemnot und Beklemmungsgefühle im Brustraum aufgrund verengter Herzkranzgefäße. Sein behandelnder Arzt hatte ihm Nitroglyzerin-Kapseln verschrieben, die bei akuter Angina Pectoris bewirken, dass die Gefäße sich weiten. »Aber Sie können auch einen Schnaps nehmen, wenn Sie keine Luft kriegen, das hat dieselbe Wirkung«, sagte der Arzt. Mein Mann entschied sich für den Schnaps, leider.
    Es fällt mir sehr schwer, darüber zu schreiben. Man darf sich nicht schlecht über Tote äußern. Mein zweiter Mann ist nun schon lange tot. Er erlitt weitere Herzinfarkte, sie schwächten ihn körperlich und psychisch. Kriegstraumata brachen wieder hervor, er wurde mal melancholisch, mal aggressiv und oft unberechenbar. Ich bekam Angst. Angst vor ihm, Angst um die Kinder.
    Nach der Geburt von Andrea und der anschließenden Mutterschutzzeit kam ich 1970 ans Oberlandesgericht zur Erprobung. Das war die intern so genannte dritte Staatsprüfung, bei der es aber keine Prüfungssituation im engeren Sinne gab. Stattdessen musste man sich als »Hilfsrichter« in einer neunmonatigen Probezeit an einem Senat bewähren, man wurde dort gründlich unter die Lupe genommen. Ein Senat am Oberlandesgericht entspricht einer Kammer am Landgericht: Es ist ein Spruchkörper, also ein Kollegium, bestehend aus einem Vorsitzenden Richter und mindestens zwei Beisitzern, die gemeinsam Recht sprechen. Der Vorsitzende eines Senates hieß damals Senatspräsident – später wurden die Amtsbezeichnungen geändert, heute gibt es nur noch Vorsitzende Richter und Richterinnen, aber keine Senatspräsidenten mehr am OLG.
    Nach der bestandenen Erprobung am OLG gingen Richter normalerweise zunächst zurück zum Landgericht und wurden dann, nach einiger Zeit, zum Richter am OLG befördert. Für einige Kollegen war die Erprobung eine große Herausforderung, besonders für Kriegsheimkehrer, deren Examenszeit schon sehr weit zurücklag und die an Prüfungen nicht mehr gewöhnt waren. Manche hielten den Druck kaum aus.
    Im Anschluss an meine »dritte Staatsprüfung« kehrte ich nicht wieder ans Landgericht zurück, da »mein« Senatspräsident mich unbedingt am OLG behalten wollte. Bis eine Stelle frei war, ging noch etwas Zeit ins Land – in der ich als vom Landgericht abgeordnete Richterin am OLG arbeitete. Dass ich nicht sofort befördert wurde, gefiel mir ganz gut. Denn mit einer Beförderung hätte ich meinen Mann in der Karriere quasi überholt. Ich ging zu den Entscheidern und sagte: »Bevor Sie mich befördern, muss erst mein Mann befördert werden. Er ist viel älter als ich, unsere Ehe hält es nicht aus, wenn ich vor ihm aufsteige.« Mein Mann wurde dann tatsächlich zum Vorsitzenden Richter am Landgericht befördert und war damit auf derselben Karrierestufe wie ein Richter am OLG. Leider bekam er heraus, dass ich entsprechend vorstellig geworden war. Das gefiel ihm natürlich nicht. Aber immerhin: Als ich 1972 zur Richterin am OLG befördert wurde,

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