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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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jedes Jahr abzurechnen. Und Vergleiche anzustellen: einen Vorjahres– und einen Vorvorjahresvergleich. An welcher Stelle habe ich mehr ausgegeben? Wofür habe ich weniger ausgegeben? Sind Tendenzen ersichtlich? Oder handelt es sich eher um besondere einmalige Ausgaben? Im Wirtschaftsleben nennt man so etwas eine Bilanzanalyse. Andererseits gab es Unterrichtseinheiten, die mich weniger interessierten. Sich stundenlang mit diversen Zubereitungsmöglichkeiten eines Kartoffelpürees zu beschäftigen mag für Haushaltsprofis tatsächlich von Belang sein. Bei mir als hauptberufliche Richterin und nebenberufliche Hausfrau musste Kartoffelpüree flott fertig sein.
    Nach drei Jahren schloss ich die Ausbildung ab ; von Anfang an lebte Anke bei uns, unsere erste Kinderpflegepraktikantin, eine nette junge Frau, sehr gut erzogen, ruhig und herzlich. Sie hatte an zwei von vier Wochenenden frei sowie mittwochnachmittags. Nach meiner Scheidung fuhr ich mittwochs immer mittags nach Hause, das ließ sich einrichten. Die Kinder mochten Anke sehr gern, und sie mochte die Kinder. Im Anschluss an ihr Praktikum blieb sie ein weiteres Jahr bei uns, da musste ich sie voll bezahlen, auch das war hinzubekommen. Dann heiratete Anke und kündigte bei mir. Ich riet ihr dringend, in der Ehe berufstätig zu bleiben, konnte sie aber nicht überzeugen. Bei ihrer Hochzeit streuten meine Töchter Blumen.
    Nach Anke kam die nächste Kinderpflegerpraktikantin zu uns, wir hatten eine ganze Reihe junger Frauen, die bei uns lebten und arbeiteten. Fast alle waren sehr nett und tüchtig. Dadurch, dass sie so jung waren – die meisten fingen mit 18 oder 19 Jahren bei uns an –, stellten sie für die Kinder eine Mischung aus großer Schwester und Erzieherin dar. Sie konnten anders mit den Kindern umgehen als ich, sie spielten, alberten und tobten mit ihnen herum. Das hätte ich nicht gekonnt, ich hatte ständig massenhaft andere Dinge im Kopf, meine Prozesse, meine Akten, ich war nicht annähernd so unbefangen wie diese jungen Mädchen. Sie bereicherten das Familienleben und besonders den Alltag der Kinder. Im Sommer fuhren sie zusammen ins Schwimmbad, im Winter zur Schlittschuhbahn. Die eine ritt und nahm die Kinder mit zum Reiterhof. Oft ließ ich ihnen meinen Wagen da und fuhr mit der Bahn zur Arbeit, damit die Praktikantinnen die Kinder chauffieren konnten.
    Doch ich achtete auch darauf, dass die Ausbildung nicht zu kurz kam. Auszubildende haben ein Recht darauf, man darf sie nicht als billige Arbeitskräfte ausnutzen. Morgens machten wir immer Generalstab, wir besprachen, was anstand und wie es zu erledigen war. Abends folgte der Rückblick, wir tauschten uns über die Geschehnisse des Tages aus. Manchmal passierte ein Missgeschick – ein Wollpullover lief in der Wäsche auf Puppengröße ein, oder eine Bluse bekam einen Bügeleisenabdruck eingebrannt. Dann erklärte ich, wie sich das vermeiden ließ, zeigte den Mädchen wieder und wieder, wie man die Wäsche sortiert und das Bügeleisen richtig einstellt. Auch in die Haushaltsbuchführung wies ich sie ein.
    Zwischen meinem Mann und mir herrschte tiefes Vertrauen, wir hintergingen einander nicht. Er hatte seinen Sohn, seine Töchter, seinen Beruf. Er hatte das schöne Haus mit dem Garten, dazu eine große Werkstatt, er war ein leidenschaftlicher Heimwerker. Das alles war seine Welt, mehr brauchte er nicht. Mein Mann beschwerte sich nicht darüber, dass ich zu viel arbeitete oder zu wenig Zeit für ihn hätte. Auch behauptete er nicht, ich würde den Haushalt oder die Kinder vernachlässigen oder ihm zu viele Familienaufgaben aufhalsen. Ihm gefiel alles, so, wie es war. Manchmal ließ er mich spüren, dass er Bewunderung empfand für seine relativ junge, relativ erfolgreiche Frau, die drei Kinder geboren hatte.
    Die ersten Jahre in unserem Haus waren eine gesellige Zeit. Viele junge Familien bauten Häuser in der Nachbarschaft, wir halfen einander, luden uns nachmittags gegenseitig zum Kaffee im Garten ein oder tranken abends zusammen ein Glas Wein. Es gab viele Kinder, sie konnten gefahrlos auf der Straße spielen, die Siedlung hatte etwas Idyllisches. Eine besonders nette Freundschaft verband meinen Mann und mich mit einem Arzt, dem Leiter einer psychiatrischen Klinik, und seiner Familie. Als wir eines Abends beisammensaßen, meinte jener Freund plötzlich: »Weißt du, Lore, ich habe mir etwas überlegt. Ich denke, du musst deinen Beruf aufgeben.«
    »Wie bitte?«
    »Ja, ich bin mir bewusst, dass

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