Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
wenig Lust darauf habe. Sicher, manchmal sagt eine innere Stimme: Lass es einfach liegen! Morgen ist auch noch ein Tag! Aber ich schenke ihr keine Beachtung. Ich weiß genau, dass morgen andere Aufgaben kommen werden, sodass ich weniger Zeit und ganz bestimmt nicht mehr Lust haben werde, die heute aufgeschobene Aufgabe anzugehen. Dieses Denken führt zu einer großen Konzentration.
Auch lernte ich in meiner Zeit als alleinerziehende Mutter: Erteile keine Anordnungen, deren Ausführung du nicht überwachen kannst! Solche Anordnungen sind meistens sinnlos, sie können sogar kontraproduktiv sein, weil sie die eigene Autorität untergraben. Diesem Grundsatz folge ich bis heute, und rückblickend habe ich festgestellt, dass schon mein Vater – bewusst oder unbewusst – danach gehandelt hatte.
»Bitte räumt heute eure Zimmer gründlich auf!« Trug ich dies den Kindern morgens auf und verschwand dann bis zum Abend, so geschah logischerweise nichts. Eine ganztägige Kinderpflegerin hatte ich bis etwa 1978, danach kamen stundenweise Zugehfrauen, die nach dem Mittagessen gingen. Deshalb gab es niemanden, der die Ausführung meiner Anweisung überwachte.
In der Wahrnehmung eines Kindes und Jugendlichen ist ein Tag ein langer Zeitraum. Bis zum späten Nachmittag dachten die Kinder, ihnen bliebe noch reichlich Zeit zum Aufräumen, danach vergaßen sie die Sache, oder es kam etwas für sie Wichtigeres dazwischen. Zu dem Haus, das wir nach meiner Scheidung bewohnten, führte eine lange Auffahrt. Hörten die Kinder abends meinen Wagen – ein feines Gehör hatten sie alle –, so wussten sie: Jetzt muss Mama erst mal das Gartentor öffnen. Dann fährt sie herein, dann steigt sie wieder aus und schließt das Gartentor. Sie fährt die Auffahrt hoch, öffnet das Garagentor, fährt in die Garage, schließt das Tor wieder, und dann sind es noch ein paar Schritte bis ins Haus. Die ganze Prozedur kam ihnen so lang vor, dass sie der Meinung waren, sie könnten währenddessen aufräumen. Sobald sie mich am Gartentor hörten, begannen sie, wie wild ihre Sachen einzusammeln.
Viele Jahre später lachten wir oft darüber. Andrea sagte: »Wenn ich dein Auto hörte, rief ich laut: ›Aufräumen! Mama kommt!‹« Sie trieb die Geschwister an, ihr starkes Harmoniebedürfnis veranlasste sie dazu, sie wollte keinen Krach in der Familie. Dann holte sie ein Glas Wasser und gab einen Schuss Whisky hinein, damit empfing sie mich – und mit einem süßen Lächeln.
Natürlich wusste ich genau, dass sie manchmal deutlich mehr als die erlaubten drei Freunde zugleich mit nach Hause brachten und Partys feierten, ohne mich zu fragen. Das hätte ich verbieten können, aber so ein Verbot hätte nichts bewirkt – außer einem Autoritätsverlust. Wer ein Verbot ausspricht, das gebrochen wird, kaum dass er zur Tür hinaus ist, macht sich lächerlich. Entweder ich habe eine Methode, um etwas, das ich nicht möchte, effektiv zu verhindern – oder ich muss es akzeptieren.
Noch ein Grundsatz, dem ich folge: Etwas, das ich nach außen nicht ändern kann, kann ich nur bei mir selbst ändern. Ich muss meine eigene Einstellung zu diesem Problem ändern, muss hier toleranter und großzügiger werden.
Rabenmutter! Raben-mutter. Ra-ben-mut-ter. Es ist ein widerliches Wort, trotzdem sollte man es sich einmal auf der Zunge zergehen lassen und dabei überlegen, was genau es wohl bedeuten soll: Eine Mutter, die ihre Kinder allein lässt in der feindlichen Welt? Eine Mutter, der das eigene Vergnügen wichtiger ist als das Wohl der Kinder? Eine Mutter, die der Karriere mehr Beachtung schenkt als den Kindern? Eine Mutter, die ihre Kinder vernachlässigt? Eine Mutter, die ihre Kinder leiden lässt? Eine schlechte Mutter? Eine Mutter, deren Kinder besser nicht geboren wären?
Seit langem ist bekannt: Raben kümmern sich gut um ihren Nachwuchs. Trotzdem lebt der Rabenmuttermythos bis heute fort – allerdings nur im deutschsprachigen Raum. Anderswo hat er nie existiert. Viele Menschen zählten mich zur Kategorie der Rabenmütter, auch wenn sie es nicht offen aussprachen. Viele dachten so in den sechziger und siebziger, teilweise auch noch in den achtziger Jahren. »Warum arbeitet eine Frau, die Kinder hat?«, lautete eine oft gestellte Frage. Oder auch: »Warum bekommt eine Frau, die arbeiten möchte, Kinder?« Beide Fragen waren rhetorisch gemeint, beide beinhalteten die Aussage: Eine Frau muss sich entscheiden – entweder für die Berufstätigkeit oder für Kinder.
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