Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
und nutzte die Ruhe im Haus für meine Nebentätigkeit. Ungefähr eineinhalb Stunden hatte ich dann zum Klausurenlesen, manchmal nahm ich die Arbeit mit ins Bett und las dort. Danach begann das Familienleben. Gemeinsam mit der Kinderpflegerin sorgte ich dafür, dass die Kinder frisch gewaschen, gekleidet und pünktlich am Frühstückstisch saßen und dass ihre Ranzen gepackt waren. Wir aßen zusammen und besprachen den Tag. Dann gingen die älteren Kinder in die Schule, Kinderpflegerin Anke blieb mit Andrea zu Hause, und ich fuhr zur Arbeit. Abends fuhr ich nach wie vor auf dem Nachhauseweg einkaufen, zu Hause war ich nun meist erst gegen 19 Uhr, denn die Arbeit am OLG beanspruchte mich sehr. Außerdem gehörte ich seit 1973 dem Vorstand des Deutschen Juristinnenbundes an, von 1977 bis 1981 war ich dessen Erste Vorsitzende. Selbstverständlich nahm auch diese wichtige Aufgabe mich zeitlich in Anspruch.
Soweit möglich, trennte ich Beruf und Privatleben. Gerichtsakten nahm ich nicht mit nach Hause. Die Fahrten nutzte ich zum »Umschalten«. Fuhr ich morgens zum Gericht, ließ ich das Familienleben gedanklich hinter mir und bereitete mich innerlich auf die Arbeit vor. Abends auf dem Heimweg machte ich es genau umgekehrt. Ich wusste, wenn ich die Haustür öffnete, würden mich die Kinder mit ihren Erlebnissen, Fragen und Wünschen in Beschlag nehmen. Um es mir ein bisschen leichter zu machen, hatten die Kinder und ich eine Vereinbarung getroffen: Wenn ich das Haus betrat, bekam ich als Erstes ein Glas Wasser mit einem Schuss Whisky. Das ließen die Kinder mich in Ruhe austrinken. Erst dann stürzten sie sich auf mich.
Jedes Kind durfte bis zu drei Freunde gleichzeitig mit nach Hause bringen, und je älter die Kinder wurden, desto länger blieben abends ihre Freunde. So hatten wir oft ein volles Haus und eine vollbesetzte Abendbrottafel. Dieses Zuhause voller Leben und Fröhlichkeit bereitete mir Freude, kostete aber auch Energie. War mit den Kindern alles besprochen und geregelt, verlangte noch einmal der Haushalt meine Aufmerksamkeit ; die Kinderpflegerpraktikantin und ich gingen gemeinsam die Aufgaben und Pläne durch: Was hatte gut geklappt? Wo gab es Probleme? Was stand für die nächsten Tage an? Was musste organisiert, was besorgt werden? Und so weiter und so fort.
Wer mehrere Kinder erzieht, einen Haushalt führt und voll berufstätig ist, braucht starke Nerven und viel Organisationstalent. Es gibt nichts zu beschönigen. Der Alltag als alleinerziehende Vollzeitarbeiterin ähnelt einer Galeerenarbeit. Ich glaube keiner Frau, die behauptet, ihr falle das alles leicht. Aber ich bin es zu keiner Zeit gewohnt gewesen, es leicht zu haben im Leben. Ich gehöre zu den Menschen, die sich, wenn sie einen Berg erklimmen wollen, auf den Weg machen – obwohl sie wissen, dass dieser Weg voller Tücken sein könnte. Vielleicht reicht meine Kondition nicht, vielleicht stolpere ich und verknackse mir den Knöchel, vielleicht verliere ich das Gleichgewicht und stürze hinunter – könnte alles passieren. Doch ich neige dazu, meinen Bedenken nicht zu viel Raum zu lassen, sondern meine Ziele zu verfolgen. So geht es zum Glück vielen Frauen, und deshalb bekommen sie Kinder. Bekanntlich ist die Entbindung kein Vergnügen, trotzdem lassen sich die meisten Frauen dadurch nicht vom Kinderkriegen abbringen.
Manches Mal hing mir die Doppel– und Dreifachbelastung zum Halse heraus, ich fühlte mich wie in einer Tretmühle und sehnte mich nach Ruhe. Ich ächzte unter dem Druck der Jahrzehnte währenden Dauerverantwortung für die Kinder. Doch solche Anwandlungen vergingen so schnell, wie sie gekommen waren. Ich hatte immer Kinder gewollt, ich hatte immer arbeiten wollen und musste aus wirtschaftlichen Gründen arbeiten. Ich empfand die Verpflichtung, mich zusätzlich gesellschaftlich zu engagieren, und wenn man das alles wirklich will, schafft man es auch. Das Leben, das ich führte, hatte ich – abgesehen von der gescheiterten Ehe – aus freien Stücken gewählt. Dieses Wissen gab mir die Kraft, es zu meistern.
Was sich nicht vermeiden lässt, ist das permanente schlechte Gewissen. Es ist da, und es wird sich nach meiner Erfahrung und Überzeugung niemals abstellen lassen. Bei der Arbeit denkt eine Mutter ständig an ihre Kinder und fragt sich, wie es ihnen geht, ob alles in Ordnung ist. Zu Hause denkt sie an die Arbeit. Das ist ein unlösbares Problem. Wie die meisten anderen Kinder von berufstätigen Alleinerziehenden
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