Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
Richterin ist, das musst du auch nicht so genau wissen. Aber du weißt, dass Mama und Papa sich streiten. Ich will dafür sorgen, dass der Streit aufhört. Und dann werde ich entscheiden, ob du künftig bei Mama oder bei Papa lebst. So, nun weißt du, warum ich hier bin. Und jetzt zeig mir doch bitte dein Kinderzimmer.« In der Akte war vorgetragen, Maren hätte ein eigenes Kinderzimmer.
Die Kleine, unter Schluchzen: »Na, hier.«
»Was, hier? Ist dies hier dein Kinderzimmer?«
»Ja.«
»Wo sind denn deine Spielsachen?«
Da kam sie von der Fensterbank heruntergekrabbelt und öffnete einen Schrank, in dem sich etwas Spielzeug befand. Darüber hinaus war das Zimmer möbliert mit einem großen Esstisch und sechs Stühlen drum herum. An den Wänden standen hohe Schränke, einen davon erkannte ich als Schrankbett. Damit war das Zimmer voll. Wenn man das Bett ausklappte, musste offensichtlich der Tisch zur Seite gerückt werden.
»Und wo spielst du?«
»Na, da!« Maren zeigte zur Fensterbank.
»Auf der Fensterbank?«
»Ja, da spiele ich meistens.«
Die Mutter kam dazu und fragte, ob sie einen Kaffee machen solle. Diese Frage bejahte ich grundsätzlich, auch wenn ich keine Lust auf Kaffee hatte. Mit dem Kaffeekochen waren die Eltern erst einmal beschäftigt, und ich konnte in Ruhe mit dem Kind sprechen. Als die Mutter zurückkam, schlug ich vor, dass wir uns ins Wohnzimmer setzten. »Nein, das geht nicht«, sagte die Mutter nervös. »Da schläft Thomas!«, krähte Maren. »Sei still, Maren!«, herrschte die Mutter ihre Tochter an und warf ihr einen bösen Blick zu. Sie räusperte sich, richtete sich auf und wandte sich dann mir zu: »Mein Lebensgefährte ist gerade von der Schicht gekommen.«
Nun hatte ich bereits einen recht umfassenden Eindruck: In der Dreizimmerwohnung gab es ein Wohnzimmer, das das Kind nicht betreten durfte, ein Mutterschlafzimmer und ein Esszimmer. Für die kleine Maren gab es eine Fensterbank zum Spielen und ein Schrankbett. Im Übrigen schimpfte die Mutter furchtbar mit dem Kind.
Am folgenden Sonntag besuchte ich Maren bei ihrem Vater, ebenfalls unangemeldet. Ich hörte Kinder oft sonntags an, weil sie nur am Wochenende bei dem zweiten Elternteil waren. In der Akte stand, der Vater habe kein Kinderzimmer, sei schlecht organisiert und führe einen unordentlichen Haushalt. Ich klingelte, der Vater öffnete die Tür, die kleine Maren erkannte mich sofort an der Stimme und kam auf mich zugehüpft. »Da bist du ja wieder!« Sie nahm mich bei der Hand – das taten die Kinder häufig, die ich anhörte.
»Nehmen Sie doch Platz«, sagte der Vater, »und bitte entschuldigen Sie, dass es hier so chaotisch aussieht! Wenn ich gewusst hätte, dass Sie kommen, hätte ich aufgeräumt. Es tut mir so leid, bitte glauben Sie mir, es sieht hier nicht immer so aus!«
Auf dem Esstisch stand eine Nähmaschine, Stoffreste, alte Gardinen und Garnrollen lagen überall verstreut. Marens Vater wirkte ganz verzweifelt, als würde ich ihm wegen der Unordnung sofort das Kind wegnehmen. Die kleine Maren hingegen war sehr vergnügt. »Morgen ist Fasching im Kindergarten, ich gehe als Balletttänzerin!« Ihr Vater war gerade dabei, ihr Kostüm zu nähen.
Tatsächlich gab es kein Kinderzimmer, dafür aber ein geräumiges Wohnzimmer, in dem Maren ein schönes großes Hochbett hatte und darunter eine Höhle zum Spielen. Fröhlich zeigte sie mir ihr kleines Reich. Im Gespräch mit dem Vater erfuhr ich, wie er Marens Betreuung organisiert hatte für den Fall, dass die Kleine ganz bei ihm wohnen würde. Morgens käme das Kind wie gewohnt in den Kindergarten, nachmittags kümmerte sich eine Tagesmutter um Maren, abends würde er die Kleine abholen. Alles war durchorganisiert. Damit stand das Ergebnis meiner Anhörungen fest, es gab nicht mehr viel zu beraten, nicht viel zu schreiben. Die Gründe dafür, dass Maren künftig bei ihrem Vater leben würde, waren offensichtlich: Das Kind war glücklich beim Vater, der Vater liebte und versorgte das Kind in rührender Weise, Maren würde es gut bei ihm haben.
Kinder nehmen viel Platz ein in meinem Leben. Meine eigenen Kinder und Enkelkinder, aber auch die Kinder der Gesellschaft. Johannes Rau sagte einmal über mich: »Sie hat sich ein Leben lang für den sogenannten kleinen Mann eingesetzt.« Damit meinte er: Ich habe mich für diejenigen eingesetzt, die ihre Rechte selbst nicht gut wahrnehmen können. Dazu gehören viele Frauen, dazu gehören Kinder, und dazu gehören eben
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