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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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dem Bertelsmann-Konzern an. Es handelt sich um junge Frauen, die bereits die ersten Stufen der Karriereleiter erklommen haben. Meine Aufgabe ist, ihnen zu berichten, wie mein beruflicher Weg verlief. Es geht darum, den jungen Businessfrauen persönliche Erfahrungen zur Verfügung zu stellen und ihnen Mut zu machen. Vielleicht bin ich dabei eine Art Vorbild, aber ich benutze das Wort ungern. Mich selbst als Vorbild zu bezeichnen, finde ich anmaßend und unpassend.
    Mit hundertprozentiger Sicherheit kommt jedes Jahr mehrfach die Frage: »Und wie haben Sie sich dabei gefühlt?« Diese Information ist für Frauen wichtig. Einen Vortrag über einen Karriereweg ohne Erläuterung der Gefühlslage können sie sich kaum vorstellen. Mit genauso großer Sicherheit würden junge Manager diese Frage nicht stellen. Sie finden sie allzu privat. Was zählt, ist der Erfolg.
    »Haben Sie auch Misserfolge erlebt?«, fragen mich hingegen die Frauen. »Ja, selbstverständlich. Ich kenne keinen Menschen, der immer nur munter bergan gestiegen ist. Rückschläge gehören dazu.« Und weil ich weiß, dass dann gleich die Frage nach den Empfindungen folgt, füge ich an: »Es war keineswegs immer lustig. Ich habe manches Mal erheblich gelitten – bin aber am Ende gestärkt daraus hervorgegangen.«
    Im Großen und Ganzen verlief mein professioneller Weg vor allem in den ersten zwei Jahrzehnten recht gerade. Nachdem ich ein knappes Jahr in Freiburg im Breisgau als Rechtsanwältin gearbeitet hatte, wurde ich 1960 Richterin, weil man mich an das Landgericht Hamburg rief. An meinem ersten Tag als Richterin war ich 27 Jahre alt, ich kam als Vertretungsrichterin an die Zivilkammer acht. Der Vorsitzende begrüßte mich freundlich und fragte: »Haben Sie eine Robe?« Ich verneinte, denn ich war noch nicht dazu gekommen, mir eine Robe schneidern zu lassen, und ahnte auch nicht, dass ich gleich am ersten Tag an einer Sitzung teilnehmen würde. »Das macht nichts«, sagte der Direktor. »Ich habe zwei Roben. Eine alte, die ziehe ich an, und eine neue, die leihe ich Ihnen.« So ging ich in der Robe meines Vorgesetzten in den Saal. Da ich hochgewachsen bin, passte sie mir gar nicht schlecht.
    In der ersten Stunde standen Ehescheidungen auf der Terminrolle: zwölf Scheidungen à fünf Minuten. Vor uns standen Paare, die zwanzig Jahre und mehr verheiratet waren. In unseren Akten hatten wir die Namen und Geburtsdaten der Eheleute sowie Informationen über Anzahl und Alter der Kinder. Das fragte der Direktor alles ab, die Paare antworteten: »Ja, ja, richtig, ja.« Dann las er die Begründung für den Scheidungsantrag vor, zum Beispiel »Lieblosigkeit« oder »Alkoholismus«. Er fragte: »Herr X, behandelt Ihre Frau Sie lieblos?« Oder: »Frau Y, trinkt Ihr Mann?« Lautete die Antwort erneut »Ja«, stellte er die letzte Frage: »Ist Ihre Ehe gescheitert?« – »Ja.« – »Dann wird die Ehe nunmehr geschieden.« Er verlas die Urteilsformel. Die Leute sagten wohlerzogen »Auf Wiedersehen«, unser Direktor kommentierte leise: »Bloß nicht«, dann kam das nächste Paar.
    »Was ist denn hier los?«, fragte ich den Vorsitzenden in der Pause. »Das ist doch eine Farce!« – »Nein, das ist die Hamburger Konventionalscheidung«, erklärte er mir. Sie war damals üblich in der Hansestadt, aber ich hatte noch nie davon gehört.
    Wo wir gerade bei den Gefühlen waren: Am Anfang war es ein merkwürdiges Gefühl für mich, als so junge Frau über Menschenleben zu entscheiden. Doch ich wuchs recht schnell in die Rolle hinein und habe dann dreißig Jahre lang den Richterberuf sehr gern ausgeübt. Bis heute ist es für mich einer der besten Berufe, die es gibt. Denn die Aufgabe eines Zivilgerichts besteht darin, Gerechtigkeit durchzusetzen und für Einigung zu sorgen. Außerdem arbeiten Richterinnen und Richter völlig unabhängig. Niemand ist weisungsbefugt, niemand kann Vorschriften machen, was wann und wie zu erledigen sei.
    In den folgenden Jahren wechselte ich ziemlich oft die Kammern. Ich arbeitete in mehreren sogenannten Feld-, Wald– und Wiesenkammern – in Spruchkörpern also, die nicht spezialisiert, sondern für viele verschiedene Angelegenheiten zuständig waren. Damals fielen auch Ehescheidungen darunter. Und Bauprozesse. Fünf Jahre lang bearbeitete ich vorwiegend Baurecht, eine Materie, die zu der Zeit sehr relevant war, denn überall wurde aufgebaut und dabei auch viel gepfuscht. In jener Phase lernte ich, wie wichtig es ist, sich die Dinge, um die es

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