Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)
phantastisches Erlebnis. Es fühlte sich fast an wie Fliegen. Meinen eigenen Wagen, einen Mercedes, fahre ich auch öfter aus, das sind dann 220, maximal 240 Stundenkilometer. Solch eine Geschwindigkeit ist für mich nichts Besonderes. Aber nun waren es noch einmal hundert Stundenkilometer mehr. Ich sah eine Kurve, und in dem Moment, da ich sie realisiert hatte, war ich schon drin. Mit normalem Autofahren hatte das nichts mehr zu tun. Ich brauchte tiefe Konzentration und empfand zugleich Glücksgefühle. Es war wie ein kleiner Rausch.
Da erschien plötzlich auf dem Display eine große rote Ölkanne. Hatte der Motor nicht genug Öl? Dann war es nur noch eine Frage von Minuten, bis der Wagen stehen blieb. Mit klopfendem Herzen fuhr ich auf den nächsten Parkplatz – und fuhr gleich wieder weiter, weil ich vor lauter Aufregung vergessen hatte, dass es nicht ratsam ist, nachts allein auf einem dunklen Autobahnparkplatz zu halten – noch dazu als Frau. So kroch ich an die nächste Tankstelle, immer mit der roten Ölkanne vor Augen. Ich bat den Tankwart, das Öl zu prüfen – alles war in Ordnung. Daraufhin rief ich den Operator an. Es war inzwischen ein Uhr nachts. Ich beschrieb das Problem, er fragte: »Haben Sie den Ölstand gemessen?«
Für wen hielt er mich? »Selbstverständlich habe ich das! Und was raten Sie mir? Soll ich den Wagen hier stehenlassen, soll ich ein Taxi rufen?«
»Fahren Sie mit der Ölkanne weiter – das ist ein Elektronikfehler.«
So rauschte ich mit der leuchtenden Ölkanne nach Hamburg.
Am nächsten Tag kehrte ich bei gemütlichen 180 bis 200 Stundenkilometern zurück nach Berlin. Ich sagte dem Autohändler: »Es ist ein fabelhaftes Auto, so schnell, komfortabel, kraftvoll und so liebevoll gestaltet. Sie dürfen mich gern zitieren gegenüber Ihren Kunden. Nur an der Elektronik müssen Sie noch arbeiten. Aber da ist VW ja nicht der einzige deutsche Hersteller, der Probleme damit hat. Sie befinden sich in guter Gesellschaft.«
Es war das erste und einzige Mal, dass ich eine Art Produktwerbung gemacht habe – in sehr kleinem Rahmen und für ein Produkt, das mich wirklich überzeugt hat. Die Testfahrt war ein grandioses Erlebnis. Selbstverständlich bekam ich kein Geld dafür.
Leider habe ich seither kein ähnliches Angebot mehr erhalten. Und ob ich es heute noch annehmen würde, weiß ich nicht. Aber ich brauche darüber gar nicht nachzudenken: In meinem biblischen Alter trauen mir jüngere Menschen solch ein Abenteuer nicht mehr zu.
Inzwischen sieht man den Phaeton auf den Straßen. Ich habe ihn manchmal vor mir. Dann denke ich: Na, du Racker! Was hatten wir für einen Spaß!
Macht und Menschlichkeit
»Guten Tag, Frau Peschel-Gutzeit, wie geht es Ihnen?« – »Vielen Dank, mir geht es fabelhaft. Und Ihnen?« Bis hierhin bleibt der Dialog immer gleich, ich antworte grundsätzlich: »sehr gut«, »fabelhaft« oder Ähnliches. Ist mein Gegenüber ein Mann, geht es meist formelhaft weiter: »Danke, auch mir geht es sehr gut, bei diesem herrlichen Wetter.« Spreche ich mit einer Frau, setzt sich der Dialog möglicherweise anders fort: »Na ja, es geht so. Seit Tagen habe ich Kopfschmerzen, es wird wohl einen Wetterumschwung geben.« Oder so: »Mein Kind hat sich gestern den Arm gebrochen, es lernt gerade Fahrrad fahren und ist gestürzt. Hoffentlich wächst alles wieder gut zusammen!« Oder auch so: »Wir haben das Wochenende am Meer verbracht, ich bin perfekt erholt.«
Im beruflichen Umfeld ist die Frage nach dem Befinden meistens eine Höflichkeitsformel. Sie hat den Wert einer floskelhaften Grußerweiterung, mehr nicht. Viele Frauen fühlen sich bei solch einem Austausch von Satzbausteinen nicht wohl. Wenn ich sage: »Danke, mir geht es fabelhaft!«, fragen manche Frauen nach: »Ach ja, wirklich? Wie kommt denn das?« Dann bemühe ich mich, das Thema zu beenden, indem ich ins Scherzhafte abschweife: »Schlechten Leuten geht es immer gut!« Die Botschaft dahinter: Ich möchte im Moment nicht über mein oder ihr Befinden sprechen.
Etwas anderes ist es natürlich unter Kolleginnen, die seit langem eng zusammenarbeiten. Innerhalb solcher Beziehungen finde ich es notwendig, persönliche Probleme zu thematisieren und zu überlegen, ob und wie ich helfen kann.
Seit Jahren lädt mich die Bertelsmann Stiftung ein, Vorträge bei ihrer Business Women School zu halten. Die Teilnehmerinnen dieser Sommerkurse sind Mitarbeiterinnen vieler verschiedener Unternehmen, sie gehören keinesfalls nur
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