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Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition)

Titel: Selbstverständlich gleichberechtigt: Eine autobiographische Zeitgeschichte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lore Maria Peschel-Gutzeit
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entsprach. Vielleicht wollte man am OLG also doch gern Richterinnen haben. Ich konnte aber nicht gleich befördert werden, da es keine entsprechende freie Stelle gab. Knapp zwei Jahre lang arbeitete ich als vom Landgericht abgeordnete Richterin am OLG, dann wurde eine Beisitzerstelle frei.
    Schon bald konnte ich an einen anderen Senat wechseln, der auch für die Landwirtschaft in Hamburg zuständig war. Dort habe ich diverse Entscheidungen zur Höfeordnung getroffen. Die Ordnung schrieb die Hofnachfolge vor: Welcher der Erben kann einen Landwirtschaftsbetrieb übernehmen, ist also hoffähig? Die anderen Erben mussten ausgezahlt werden. Es gab Fälle, in denen der älteste Sohn den Hof erbte, obgleich eine Tochter aufgrund ihrer Ausbildung besser geeignet war. Die Frau erhob Anspruch auf den Hof, ihre Brüder akzeptierten ihren Anspruch nicht, die Sache landete beim Amtsgericht und in zweiter Instanz bei uns. Eine faszinierende Materie. Es ging um Gerechtigkeit, Frauenrechte, Emanzipation, Macht und Geld.

    »Guten Tag, mein Name ist Engler, Professor Engler, ich rufe aus Freiburg an. Sie sind mir als Staudinger- Autorin empfohlen worden.«
    Es war das Jahr 1975, als mich dieser Anruf erreichte. Mir wurde heiß und kalt. Ich erhob mich, atmete tief ein und aus, setzte mich wieder hin.
    »Hallo, Frau Peschel-Gutzeit, hören Sie mich?«
    »Äh, ja, entschuldigen Sie bitte.« Ich räusperte mich, meine Stimme klang belegt. »Wie kommen Sie auf mich?«
    »Frau Dr. Fettweis hat Sie mir empfohlen. Ich bin Staudinger- Autor und -Redaktor.«
    Professor Helmut Engler lehrte an der Juristischen Fakultät und war Rektor der Universität Freiburg. In der dortigen Kanzlei von Dr. Karola Fettweis und ihren zwei Partnerinnen hatte ich als junge Rechtsanwältin gearbeitet. Und nun also: der Staudinger. Dabei handelt es sich um den größten und wichtigsten Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Zurzeit umfasst er rund neunzig Bände und 55 000 Seiten, damals war der Umfang noch etwas geringer. Jeden Band betreut ein Redaktor, ein erfahrener Jurist, der Autoren sucht, beauftragt und ihre Texte prüft. Staudinger- Autor zu sein bedeutet, unbedingt allererste Qualität liefern zu müssen. Dieser Schuh schien mir etliche Nummern zu groß, ich fürchtete der Aufgabe nicht gewachsen zu sein.
    »Ich würde Sie gern kennenlernen. Mögen Sie mich bitte in Freiburg besuchen?«, fragte Herr Engler.
    Da Frau Fettweis mich empfohlen hatte, wäre es unhöflich und undankbar gewesen, die Einladung abzulehnen. Professor Engler und ich trafen uns im Restaurant Greiffenegg Schlössle am Freiburger Schlossberg. Nachdem wir uns einander vorgestellt hatten, schaute ich verlegen aus dem Fenster, weit hinaus über die Stadt und den Schwarzwald. Professor Engler war mir auf Anhieb sympathisch, er war ein väterlicher, konservativer Typ – und sah mich an wie einen bunten Hund. »Nun, ich gestehe, ich weiß nicht, ob Sie die Richtige sind«, sagte er. »Bisher hatten wir überhaupt keine Frauen unter den Staudinger -Autoren.«
    Unbeabsichtigt legte er mit diesen Worten einen Schalter bei mir um. Es ist nicht zu glauben!, dachte ich mir. Wann wird sich die Welt endlich ändern? Er meint, eine Frau sei aufgrund ihres Geschlechts minder geeignet als Staudinger- Autorin? Er irrt sich! Das bedeutete, dass ich handeln musste. Ich musste versuchen, ihm klarzumachen: Ich schaffe das vielleicht. So berichtete ich ihm ausführlich von meiner Laufbahn, stellte meine Qualitäten, Erfolge und meine vielseitigen Erfahrungen dar. Damit überzeugte ich ihn.
    Einige Autoren der vorigen Staudinger- Auflagen hatten ihre Mitarbeit beendet, unter anderem der Autor, der sich dem elterlichen Sorgerecht gewidmet hatte. Herr Engler fand, dieses Thema müsse mir liegen, und bat mich, es zu übernehmen. Ich willigte ein. Kurz darauf kam der Vertrag, womit ich offizielle Staudinger- Autorin war. Ich schrieb in den folgenden Jahren aber noch keine Kommentierung, denn das elterliche Sorgerecht war zu dem Zeitpunkt Gegenstand einer Reformdiskussion im Bundestag. Es ergab keinen Sinn, ein Gesetz zu kommentieren, das geändert werden sollte. 1979 wurde das neue Gesetz verabschiedet, 1980 trat es in Kraft. Danach einigten der Verlag und ich uns darauf, erste Entscheidungen auf Grundlage des neuen Gesetzes abzuwarten und danach den Kommentar zu verfassen. Deshalb begann ich erst gegen Mitte der achtziger Jahre mit meiner Arbeit am Staudinger.
    Das Gesetz über die elterliche Sorge, das mir

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